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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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versucht habe, sie anzurufen“, sagte Henryk, „hat ihr Mann abgenommen. Ich habe ihm gesagt, dass ich das Bild für sie gemalt habe.“
    Verhoeven drückte seine Zigarette auf dem Fensterbrett aus. „Und jetzt hast du Angst, dass die Bullen dich in Verbindung mit ihrem Tod bringen.“
    „Ich weiß nicht.“
    „Das Gemälde könnte schon Fragen provozieren.“ Verhoeven stieß sich vom Fenster ab. „Ich mache dir einen Vorschlag. Ich nehme es mit und lasse es verschwinden und wenn die Bullen bei dir auftauchen, sagst du einfach, wie es gewesen ist. Also dass du sie an dem Abend das letzte Mal gesehen hast, als sie dein Atelier verließ. Erzähl’ ihnen, dass ich am nächsten Morgen vorbeigekommen bin, um das Bild abzuholen, als noch kein Mensch von dem Unfall wusste.“
    „Ich soll sie zu dir schicken?“
    „Ich zeige denen einfach ein anderes Bild, wenn sie fragen.“ Verhoevens Augen zogen sich zusammen. „Du hast doch niemandem sonst von dem Vermeer erzählt?“ 
    Henryk schüttelte den Kopf.
    „Das ist wichtig. Wenn irgendjemand weiß, dass du an einer Vermeer-Kopie gemalt hast ...“
    „Nein. Niemand.“
    „Gut.“
    „Und was, wenn die Polizei gar nicht zu mir kommt?“
    „Dann ist es umso besser.“ Verhoeven schlug ihm auf die Schulter. Diesmal weckte die Berührung keinen Abscheu in ihm. Verhoevens grober Optimismus wirkte seltsam tröstlich.
    „Na los.“ Der Galerist deutete auf den Haufen Decken, der neben dem Sofa zusammengeschoben war. „Hilf mir mal, das Ding einzuwickeln. Muss ja nicht jeder sehen, was wir die Treppen herunter tragen.“
     

16
     
     
     
    Es roch nach Frühling, als sich die Prozession ihren Weg unter den alten Bäumen suchte. Sonne spiegelte sich in den Pfützen. Die Eiben und Wacholderhecken warfen blaue Schatten auf die Kieswege.
    Marthas Grab lag in einem abgelegenen Bereich des Cimetière d'Evere, zurückgesetzt hinter einem Eisenzaun. Eine schier unüberschaubare Menschenmenge zertrat den Rasen. Die Trauerhalle bot nur einem kleinen Teil der Gäste Platz. Für diejenigen, die draußen stehen mussten, wurden die Reden über Lautsprecher übertragen. Martha war eine Person des öffentlichen Lebens gewesen. Ihr Tod avancierte zu einem gesellschaftlichen Ereignis.
    Henryk zog seinen Mantel fester um seine Schultern. An der linken Hand trug er den Ring, den er Martha hatte geben wollen. Er wartete, dass sie den Sarg vorbei trugen. Dicht dahinter drängten sich Menschen in Mänteln und Anzügen, vor denen er instinktiv zurückwich. Dann entdeckte er Verhoeven, der die Stirn runzelte, als ihre Blicke sich trafen. 
    „Was machst du hier?“, fragte der Galerist.
    Die vertrauliche Anrede, die ihm vor zwei Tagen tröstlich erschienen war, empfand Henryk nun als plumpe Beleidigung.
    „Was meinen Sie?“ Er dämpfte seine Stimme. Die Vorstellung, dass er die Aufmerksamkeit anderer Trauergäste erregen könnte, war ihm unangenehm.
    „Du hättest zu Hause bleiben sollen.“
    „Die Polizei ist nicht bei mir aufgetaucht.“
    „Aber bei mir“, knurrte Verhoeven.
    Henryk spürte, wie Hitze sich von seinem Nacken her ausbreitete. „Haben sie wegen des Bildes gefragt?“
    „Sagen wir mal, ich konnte sie beruhigen.“
    „Aber den Fahrer haben sie nicht gefunden?“
    Verhoeven schüttelte den Kopf. „Ich bezweifle auch, dass das zu einem Ergebnis führt. Ein besoffener Irrer, der sich wahrscheinlich nicht mal erinnern kann, was passiert ist.“
    „Und das Bild?“
    „Ich hab’s verschwinden lassen.“ Verhoeven blickte auf, seine Miene nun freundlicher. „Vergiss das verdammte Bild. Vergiss, dass du es überhaupt gemalt hast. Nicht mal ihr Mann wusste von dem Ding, bevor du es ihm erzählt hast.“
    Sie waren stehen geblieben, ein Stück vom Grab entfernt. Henryk erhaschte einen Blick auf die Träger, die den Sarg in die Erde senkten. Irgendwo schluchzte eine Frau. Er spürte, wie seine eigene Kehle sich zuschnürte, aber nur kurz. Der Moment verging. Er hatte die vergangenen Tage getrauert. Er hatte um Martha geweint, um sich selbst, um die verlorenen Möglichkeiten. Jetzt fühlte er sich nur noch unbehaglich, eingezwängt zwischen Fremden, die alle etwas mit Martha verbunden hatte.
    „Welcher ist es?“
    „Was?“
    „Ihr Ehemann.“
    Verhoeven verzog einen Mundwinkel. „Der große Hagere dort drüben.“ Er machte eine kleine Kopfbewegung. „Schwarzer Mantel, graue Haarstoppeln.“
    Henryk stellte sich auf die Zehenspitzen. Die Menge versperrte ihm den Blick.

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