Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
ist, könnten Sie ihr etwas ausrichten?“
Ein langes Schweigen füllte die Leitung. Henryk glaubte schon, dass sein unbekannter Gesprächspartner aufgehängt hatte. Doch dann hörte er ein Rascheln auf der anderen Seite.
„Wer sind Sie?“, fragte der Mann. Henryk wusste den Unterton in der Stimme nicht zu deuten. „Ich meine, in welcher Beziehung stehen Sie zu Martha Haussen?“
„Sie hat mich beauftragt, ein Bild für sie zu malen.“ Henryk zwang sich, die Silben deutlich zu formulieren. „Kann ich sie sprechen, bitte?“
„Sie hat ein Bild bei Ihnen in Auftrag gegeben?“
Henryks Verwirrung wandelte sich zu Ärger. „Können Sie sie mir nicht einfach geben?“
„Das ist nicht möglich“, erwiderte der Mann. „Frau Haussen ist heute Morgen verstorben.“
„Wer sind Sie?“, stammelte Henryk.
„Johan Haussen.“ Ein Zittern erschütterte die Stimme. „Ich bin ihr Mann.“
Ein Verkehrsunfall, sagte Johan Haussen. Er sagte sonst nichts weiter. Wahrscheinlich wollte er nicht mit einem Fremden über den Tod seiner Frau sprechen.
Henryk umklammerte das Telefon.
Blicklos starrte er aus dem Fenster, noch lange, nachdem Haussen aufgelegt hatte. Er betrachtete einen Tropfen, der die Scheibe hinunter lief. Die Straßenlampen entzündeten sich mit einem unsteten Flackern.
Dann fiel ihm ein, dass er Sirenen gehört hatte, irgendwann in der Nacht. Er glaubte sich auch an Licht zu erinnern, ein verirrtes Blau, das sich im Glas reflektierte. Vielleicht war sie in dieser Straße gestorben, nur wenige Meter von seinem Fenster entfernt, während er ihr Gesicht mit einer Rasierklinge zerschnitten hatte, trunken vor Wein und Eifersucht.
Er wartete auf die Tränen, doch seine Augen brannten nur. Seine Kehle fühlte sich an wie ausgedörrt. Die Vorstellung war zu abstrakt. Er wollte es nicht begreifen. Er konnte nicht.
Wie ein Mantra ließ er die Bilder in seinem Kopf ablaufen. Martha, die in der Tür stand, in ihrem hellbraunen Mantel. Martha, deren Absätze auf dem Stein hallten. Martha im Licht, Martha im Schatten.
Sie fühlten sich so real an.
Ganz anders als die körperlose Stimme in seinem Telefon. Ein Fremder am anderen Ende der Leitung hatte ihre Existenz ausgelöscht. Einfach so, mit zwei Sätzen.
Vielleicht nur ein makabrer Scherz? Alles erschien ihm in diesem Moment glaubhafter als die Möglichkeit, der Mann könnte die Wahrheit gesagt haben.
Noch einmal wählte er die Nummer. Dieses Mal landete er sofort auf der Mailbox. Johan Haussen hatte das Telefon ausgeschaltet.
Eine Stunde später brachten sie es in den Radionachrichten, dass Martha Haussen, prominente Anwältin für Wirtschaftsrecht und Kuratorin der privaten Haussen-Sammlung, bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Der Fahrer des beteiligten Wagens, sagte der Sprecher, konnte nicht ermittelt werden.
Henryks Finger öffneten sich, während er mit halbem Ohr lauschte. Das Telefon entglitt seiner Hand und prallte auf den Steinboden. Die Wucht des Aufpralls trieb Risse ins Display.
„Ein Glück, dass du mich angerufen hast.“ Verhoeven verdeckte das Fenster mit seinem breiten Rücken. „Du siehst übrigens schlecht aus.“
Henryk war immer noch unsicher, ob es nicht ein Fehler gewesen war, sich an den Galeristen zu wenden. Aber er wusste nicht, mit wem er sonst darüber reden sollte. Nachdem die erste Starre von ihm abgefallen war, irgendwann im Lauf der zweiten Nacht, war ihm klar geworden, dass er ein Problem hatte.
Marthas Tod geisterte durch die Nachrichten. Angeblich fahndete die Polizei weiter nach dem Fahrer des Unglückswagens.
„Es war ein Unfall.“ Verhoeven rauchte in bedächtigen Zügen. „Worüber machst du dir Sorgen? Darüber, dass ihr euch am Abend vorher gestritten habt? Also Respekt, dass du und sie ...“ Er brach den Satz ab und kicherte. „Ich meine, Martha Haussen war eine tolle Frau, was?“
Henryk hob den Kopf. Verhoeven war nun einmal hier und er hatte ihn eingeweiht, weil er sich Hilfe erhoffte. Außerdem war er zu erschöpft, um mehr zu empfinden als leisen Ekel.
„Wir haben uns kurz vorher getrennt“, sagte er, „und ein paar Stunden später war sie tot. Und ich besitze ein Bild von ihr, das aussieht wie ein Vermeer-Gemälde.“
„Und das du in Stücke schneiden musstest“, fügte Verhoeven hinzu. Aus seinem Mund klang es wie eine Obszönität. „Mit einer Rasierklinge. Und dabei hast du Blut auf ihrem Gesicht verschmiert.“
„Als ich gestern
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