Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
Kunsthändler fasste einen Verdacht und stieß Untersuchungen an.“
Und dann, endete Baeskens, verdichteten sich die Vermutungen zur Gewissheit. Die Dame hatte einen Schatz geerbt.
Bei dem Bild handelte es sich um ein undokumentiertes Gemälde des Delfter Malers Jan Vermeer.
Henryk hatte davon geträumt.
In seiner Phantasie hatte er sich vorgestellt, wie es aussehen würde, in einem schweren Goldrahmen an der Wand eines Museumssaals, in einer Atmosphäre gedämpften Flüsterns und vorsichtiger Schritte. Dabei hatte er stets das Mauritshuis vor Augen gehabt, die königliche Gemäldegalerie in Den Haag.
Die Böden der Kunsthal waren dagegen aus Beton gegossen, die Stimmen verhallten zwischen Glas und Stahl. Das war anders als in seinen Träumen.
Die Menge staute sich vor seinem Bild zu einer undurchdringlichen Blase, an deren Peripherie er entlangstrich und vergeblich einen Blick zu erhaschen suchte.
Es gelang ihm einfach nicht.
Seine aufgestaute Erregung verwandelte sich in Frustration. Keiner der Umstehenden nahm ihn überhaupt wahr. Er versuchte sich nach vorn zu schieben, doch sie wichen nicht seinem vorsichtigen Druck. Es ist mein Recht, wollte er rufen.
Stattdessen gab er auf und gewann Abstand zu den sensationslüsternen Gästen. Er nahm ein Glas Wein von einem Tablett und trank, während er zur anderen Seite der Halle floh und vorgab, sich für die Bilder dort zu interessieren.
Der angrenzende Saal war menschenleer. Seine Schritte hallten so laut von den Wänden zurück, dass er versuchte, seinen Tritt zu dämpfen. Die Luft hier war frisch und nicht so aufgeheizt vom Atem vieler Menschen. Sie kühlte seine Sinne.
Er blieb vor einem Gemälde von Ter Brugghen stehen, drei Landsknechte an einem Spieltisch . Die Farben zogen ihn an, Schwarz und Rot und warme Gelbtöne. Er beugte sich vor, um die kleine Tafel zu entziffern, die rechts neben dem Bild angebracht war.
Als er aufblickte, entdeckte er im Augenwinkel das rote Kleid. Die Frau stand am äußeren Rand der Menge. Er sah nur ihren Rücken und das Haar, das zu einem Knoten aufgesteckt war. Dann drängte eine Gruppe Menschen in den Durchgang und versperrte ihm den Blick. Als sie den Weg wieder freigaben, war die Frau verschwunden.
Wie erstarrt stand er und suchte mit den Augen nach ihr. Er widerstand dem Bedürfnis, zurück in den ersten Saal zu laufen. So sehr er sie finden wollte, so heftig schreckte er vor der Vorstellung zurück, ihr plötzlich gegenüberzustehen.
Er ließ sich Zeit auf seinem Rundgang.
Seine Unruhe klang ab, je tiefer er in die Galerien und gewundenen Gänge der Kunsthal eindrang. Das Licht gefiel ihm, die Atmosphäre farbiger Schatten, die sich zu den Decken hoch verdichteten. Spotlichter hoben die Gemälde aus der Schwärze.
Ihm gefiel es, selbst im Dunkeln zu stehen, während die Exponate im Licht hingen. Es gewährte ihm Schutz und Anonymität, und er fragte sich, ob dieser Effekt beabsichtigt war. Der Wein machte seinen Kopf leicht und versetzte ihn in eine gelöste Stimmung. Er drehte das leere Glas zwischen seinen Fingern, als er erneut die große Halle betrat, dieses Mal von der anderen Seite.
Noch immer standen Besucher in Grüppchen, in Unterhaltungen vertieft, doch die Menge um den Vermeer hatte sich zerstreut.
Da hing das Bild, eine große Leinwand, einhundertzwanzig mal siebzig Zentimeter. Ein Prunkrahmen fasste die Fälschung und ließ sie nur noch echter erscheinen.
Der Firniss glänzte satt im Licht.
Er näherte sich langsam, beinahe ehrfürchtig. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Eine Sturmflut widersprüchlicher Emotionen spülte über ihn hinweg. Da war Stolz, ein überwältigendes Gefühl, das alles andere dominierte. Doch dahinter wuchs Furcht, und Unglauben, und schließlich Zorn, ein diffuses Aufbegehren.
Zuletzt, als er das Mädchen in Delfter Tracht anstarrte, die Frau mit Marthas Gesicht, überwältigte ihn Trauer. Er blinzelte, weil seine Augen plötzlich brannten.
„Ist es nicht wundervoll?“
Henryk drehte sich um und erkannte Peter Baeskens, der unvermittelt neben ihm aufgetaucht war.
„Sie!“, sagte er überrascht.
Baeskens streckte eine Hand aus. Henryk ergriff sie wie in Trance und erwiderte den Druck.
„Wir haben uns kurz auf Ihrer Vernissage getroffen.“ Baeskens klang leutselig. „Henryk Grigore, nicht wahr?“
„Sie erinnern sich?“
„Ich erinnere mich an Ihren Mantel.“ Der Sammler lachte. „Ich achte auf solche Kleinigkeiten. Ich habe
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