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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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ein schlechtes Gedächtnis für Gesichter, da muss ich mir andere Dinge merken.“
    Befangen presste Henryk seine Handflächen gegeneinander. Er wusste nicht, was er erwidern sollte.
    „Was halten Sie von dem Bild?“
    Er öffnete den Mund, um zu antworten, aber in diesem Moment trat die Frau im roten Kleid hinter Baeskens und berührte ihn leicht am Arm. Henryk konnte nicht anders, als sie anzustarren.
    In einem Lidschlag nahm er jedes Detail an ihr auf. Das helle Haar, zum Knoten gebunden, schmale Lippen, und vor allem die Augen, die so sehr Marthas Augen glichen, dass er an seinem Verstand zweifelte.
    Zugleich registrierte er, dass es nicht Martha war, sondern nur eine Frau, die ihr ähnlich sah. Sie war jünger als Martha und ihr Gesicht besaß nicht diese Härte, die sich in Marthas Zügen oft gezeigt hatte. 
    „Das ist meine Frau Helene“, sickerte Baeskens’ Stimme in sein Bewusstsein. „Helene, das ist Henryk Grigore, ein Absolvent von Professor Lauwaert.“
    „Ich wusste nicht, dass Sie das Bild gekauft haben“, entschlüpfte es Henryk. Er fing die Frage in Baeskens’ Blick auf, und Helenes Lächeln. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Er vermochte später nicht mehr zu sagen, was ihn getrieben hatte. Vielleicht das Bedürfnis, wenigstens eine kleine Menge Anerkennung zu erhalten, für dieses Werk, das er nicht als seines deklarieren durfte. Vielleicht war es auch Helenes Lächeln. Er wollte ihre Aufmerksamkeit gewinnen, und er fürchtete, dass ihre Begegnung das bleiben würde, was sie war: Ein flüchtiger Moment, der am nächsten Tag vergessen war.
    „Ich habe viel Zeit mit dem Bild verbracht.“ Seine eigene Stimme klang ihm fremd in den Ohren. Er hatte das Gefühl, außerhalb seines Körpers zu stehen. „Hat Verhoeven Ihnen nicht erzählt, dass ich es restauriert habe?“
    Baeskens’ Gesicht zeigte keine Regung, in seinen Augen allerdings glomm etwas auf, das Henryk zuerst als Misstrauen interpretierte, dann aber als aufkeimendes Interesse.
    „Was haben Sie gesagt?“
    „Ich habe den Vermeer restauriert. Das Bild war in einem furchtbaren Zustand.“ Was brachte ihn dazu, das zu behaupten? Es war wie ein fremdes Bewusstsein in seinem Kopf, eine ungewohnte Leichtigkeit. Vielleicht lag es am Wein. „Ich arbeite hin und wieder als Restaurator für Verhoeven.“ Er lächelte, das ging leicht. „Vom Verkauf meiner Bilder kann ich nicht leben.“
    Baeskens betrachtete das Gemälde, so als sähe er es zum ersten Mal. Dann gab er das Lächeln zurück. Eine neue Form von Respekt schwang darin. „Das habe ich gar nicht gewusst.“
    „Ist er hier?“
    „Verhoeven? Ich habe ihn nicht gesehen.“
    „Wie viel haben Sie für das Bild bezahlt?“
    Baeskens’ Lächeln wurde verkniffen. „Sie wissen doch, über Geld spricht man nicht.“
    „Es hätte mich nur interessiert.“
    „Wir haben die Entstehungszeit auf 1670 geschätzt. Was ist Ihre Meinung?“
    „Ziemlich sicher ein Spätwerk.“ Henryk verstummte. Ihm wurde bewusst, wie absurd diese Unterhaltung war. Dann stieß er den Gedanken zurück ins Dunkel, und konzentrierte sich auf die andere Hälfte des Moments. Wie gut es sich anfühlte. Wie süß. Die Anerkennung in Baeskens’ Blick euphorisierte ihn.
    „Sie sehen es am Farbauftrag und an der Pinselführung. Vergleichen Sie es mit anderen Werken, die nach 1670 entstanden sind. Er verteilt die Farben großzügiger. Die Pinselstriche sind nicht mehr akkurat, die Linien lösen sich auf. Hier – “, er deutete auf die Kontur von Marthas Haar, „sehen Sie? Der Schatten? Da ist keine richtige Trennung. Er setzt sich über akademische Konventionen hinweg. Das zeichnet alle seine späten Arbeiten aus. Und wenn Sie die Frisur der Frau betrachten und ihre Kleidung ...“
    „Sie ähnelt mir“, warf Helene ein. „Ist das nicht faszinierend?“
    Er vermied es, sie anzusehen. Trotzdem stieg ihm Röte in die Wangen. Baeskens legte seinen Arm um ihre Schulter und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und Henryk wusste, dass er die Unterhaltung gleich beenden würde.
    Ihn überwältigte die Dringlichkeit, die Begegnung noch etwas auszudehnen. Wenigstens für einen Augenblick.
    „Sie wissen, dass es zwei sind?“, stieß er hervor. Ihm wurde heiß, noch während er es aussprach.
     „Nein.“ Baeskens kniff leicht die Augen zusammen. „Es gibt zwei Bilder?“
    „Gleiche Schaffensperiode.“ Henryk konzentrierte sich, um nicht zu stolpern. Die Silben drohten ineinander zu rutschen. Sein Herzschlag

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