Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
sammelte sich Farbpulver. Zwei Tage hatte er gebraucht, um die alte Bemalung abzuschleifen.
Er warf den Purpurgittern einen bedauernden Blick zu. Die Farben sangen wie Sirenen, so gern wollte er ihnen folgen. Der Rausch, der ihn nach seiner Heimkehr überwältigt hatte, hielt immer noch an.
Aber er musste Disziplin bewahren. Er konnte es sich nicht leisten, zu viel Zeit zu verlieren. Die Tage gehörten dem Vermeer. Wenn er zu lange brauchte, würde Baeskens misstrauisch werden.
Er breitete die Papierbögen mit der Vorzeichnung auf dem Tisch aus und klemmte eine Stecknadel zwischen Daumen und Zeigefinger, dann begann er die Linien nachzustechen. Schnell fand er seinen Rhythmus. Er versteifte sein Handgelenk und schob die Nadel an der Linie entlang, wie eine Nähmaschine mit akkuraten, kleinen Einstichen.
Er arbeitete so lange, bis seine Finger sich verkrampften, dann ließ er die Nadel fallen und richtete sich auf.
Seine Aufmerksamkeit schweifte schon wieder ab zu den Gittern. Einem Abgrund gleich, der den Stürzenden unweigerlich anzieht, glänzten sie im Licht. Sie flüsterten und lockten. Ein Zufallseffekt, den er zuvor gar nicht bemerkt hatte. Kam das vom Sonnenlicht, das seine Nachtschöpfung berührte? Er schwelgte noch eine Zeitlang in der Vorfreude, zu diesem Bild zurückzukehren. Öl schimmerte zwischen den dünnen Haaren des Pinsels, den er auf dem Querholz abgelegt hatte.
Er stellte sich vor, wie seine Finger sich um das lackierte Holz schmiegten. Wie sie abglitten, wo Farbe und Firnis einen Film bildeten. Er würde die Pinselspitze in Kobalt tauchen, und dann die Leinwand benetzen. Noch eine Schicht, Nuancen im Schatten, ein weiterer Schritt hinab in die Tiefe. Vermeer-Technik in die Moderne gebracht.
Er wollte den Tag mit dem Vermeer verbringen und nach Sonnenuntergang zu den Purpurnetzen zurückkehren, wie zu einer heimlichen Geliebten. Dort hingen sie voller Erwartungsfreude, und fast glaubte er zu sehen, wie sie vor und zurück schwangen. Vor und zurück. Oder war es eine Irritation des Lichts?
Kunst ist Evolution. Peter Baeskens hatte das zu ihm gesagt, der große Baeskens. Und er hatte ihn verstanden. Er wusste genau, was Baeskens wollte.
Er befeuchtete seine Lippen und riss sich los, griff wieder nach der Nadel. Ein dünner Schmerz wanderte sein Rückrat hinauf, als er sich über die Papierbögen beugte und damit fortfuhr, die Schablonen zu stechen.
Die Nacht brach herein, gerade als er mit den Papierbögen fertig war. Sein Rücken fühlte sich steif an und schmerzte. Licht schimmerte durch die feinen Löcher und verlieh der Zeichnung das Aussehen einer Stickerei.
Im Kühlschrank fand er eine angebrochene Flasche Weißwein. Er schenkte sich ein Glas ein und trug es zurück zur Staffelei, der anderen, der am Fenster.
Sorgfältig zog die Folie ab, die er auf die Palette gelegt hatte, um die Farben am Eintrocknen zu hindern. Schlieren von Purpur und Grau liefen über die Plastikfalten.
Er mischte Schwarz und Blau und fügte Öl hinzu, um die Paste geschmeidiger zu machen. Sein Fokus verengte sich auf ein einzelnes Detail. Er begann mit der Außenkontur und füllte sie mit Schatten und Reflexen, um dem kleinen Quadrat Tiefe zu verleihen. Als er einen Schritt zurück machte und die Augen zusammenkniff, war ein Raum dort entstanden. Ein Universum, das nur darauf wartete, dass Leben Wurzeln darin schlug.
Er verstrich den Rest von Dunkelblau auf der benachbarten Zelle, fügte Kobalt hinzu und einen Stich Gelb, der die Illusion von Licht erzeugte. Er verteilte noch mehr dieser Lichter entlang der Netzstruktur, wie Ankerpunkte, um die sich die anderen Zellen sammelten.
Das Leuchten veränderte sich. Er setzte mehr Rot zu, Zinnober und Krapplack, ein düsteres Feuer. Ultramarin nahm den Flammen die Hitze und kühlte sie ab zu Neonblau.
Als die Glocken der Eglise du Gesu zwei Uhr schlugen, ließ er den Pinsel auf die Ablage fallen und trat zurück, bis er gegen den Tisch stieß und ins Taumeln geriet. Er klammerte sich an der Holzplatte fest und wartete, dass der Schwindel vorbei ging. In seinem Magen erwachte leise Übelkeit. Fahrig fragte er sich, ob etwas mit dem Wein nicht stimmte.
Die Tischlampe warf ein verzerrtes Oval auf die Leinwand. Die Tunnel schienen sich am Rand des Lichtkegels stärker zu krümmen.
Er ließ sich in die Hocke sinken und versuchte seinen Blick scharf zu stellen, aber Kopfschmerzen beeinträchtigten seine Konzentration. Aus den Steinen stieg Kälte
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