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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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mal einen Blick drauf werfen? Oder sind das geheime Schätze, die Sie vor den Augen der Öffentlichkeit verbergen?“
    „Entschuldigen Sie mich kurz?“ Er hörte sich selbst wie durch einen Schleier. „Ich muss kurz ...“ Er stockte. „Ich bin gleich wieder da.“
    Das Parkett unter seinen Füßen war so glatt, dass er rutschte. Es kostete ihn all seine Beherrschung, nicht zu rennen. Auf der Treppe fiel ihm ein, dass er gar nicht wusste, wo die Toiletten sich befanden.
    „Wieder hoch und dann gleich rechts um die Ecke“, beantwortete ihm ein entgegenkommender Gast die Frage.
    Er taumelte in den weiß gekachelten Raum und verriegelte die Tür hinter sich. Mit jagendem Herzen ließ sich auf den Badewannenrand sinken und stützte die Hände auf die Knie. So saß er, mit geschlossenen Augen, bis die Panik abklang. Zuvor war ihm heiß gewesen, jetzt fror er. In seinem Nacken trocknete Schweiß. Er dachte an Lauwaerts durchdringende graue Augen, und wie er seine Lippen zu einer Linie gepresst hatte, die deutlich sein Misstrauen umriss.
    Warum hatte Lauwaert das gesagt? Warum musste er überhaupt hier sein? Der Professor schien ihm wie ein Relikt, eine ungewollte Last aus der Vergangenheit. Jetzt endlich, wo die Tür zur besseren Seite des Lebens sich öffnete und er nur noch einen weiteren Schritt ins Licht tun musste, stand Lauwaert da und warf seinen Schatten.
    Er betrachtete die Narben auf seinen Handgelenken. Langsam krümmte er die Finger, bis sie eine Faust bildeten, und schlug damit gegen die Kacheln. Es war kein kraftvoller Hieb. Verschwendeter Atem, eine leere Geste. Er wollte Lauwaert hassen. Stattdessen überwältigte ihn Scham. Seine eigene Schwäche hatte ihn an diesen Punkt gebracht. Das Wissen fraß an ihm, ein Hochstapler zu sein. Lauwaert wirkte nur als Katalysator, er brachte ans Licht, was sich zuvor im Dunkel verborgen hatte.
    Mit einem Ruck kam er wieder hoch. Er starrte eine Zeitlang in den Spiegel und fragte sich, was die anderen sahen, wenn sie ihn anblickten.
    Hübsch sah es aus, mit den Locken, die er sich in den Nacken gebunden hatte. In den letzten Monaten hatte er an Gewicht verloren, seine Gesichtszüge waren hager geworden. Er fragte sich, ob Helene ihn attraktiv fand. Sie ging liebenswürdig mit ihm um, vertraulich sogar. Vielleicht hatte das nichts zu bedeuten, vielleicht war es ihre Art. Dann dachte er an ihre Hand auf seinem Arm und das Gefühl von Wärme, als sie gemeinsam unter den alten Bäumen gestanden hatten. Sie hatte ihn nach seiner Familie gefragt und das bedeutete, dass sie sich für ihn interessierte, oder nicht? Er presste seine Finger gegen die Schläfen, bis sie weiße Abdrücke hinterließen.
    Er musste hinausgehen und weitermachen, als sei nichts geschehen. Und warum auch nicht? Was konnte schon passieren?
    Sie stellten Fragen, doch sie waren nur neugierig. Und mit Lauwaert wurde er fertig. Der Professor kannte ihn, aber so gut auch wieder nicht. Wenn er erklärte, dass er den Vermeer restauriert hatte, wer war dann Lauwaert, dass er das Gegenteil behaupten konnte?
     

25
     
     
     
    Gitter zur Seele.
    Die Idee war ihm auf der Straße gekommen, auf dem langen Weg von der Baeskens-Villa zurück nach Hause. Im Dunkel schwang ein Hauch Purpur, glitt herüber zu Ultramarin und verlor sich in leuchtenden Kobaltflecken.
    Wie im Reflex war er zum Atelier in Schaerbeek zurückgekehrt, anstatt zu der leeren neuen Wohnung in der Avenue Paul Dajaer.
    Nun war es später Morgen, und er fühlte kaum Müdigkeit. Er war wie elektrisiert von seiner neuen Idee. Die Sonne warf einen hellen Streifen auf die Leinwand und brachte das Dunkel zum Leuchten. Er hatte die Gitterstrukturen in die Tiefe gespiegelt, unzählige kleine Würfelflächen, die einander reflektierten. Purpur und glänzendes Blau.
    Er dachte an seine Unterhaltung mit Peter Baeskens, später am Abend. Kunst ist Evolution, hatte Baeskens gesagt, die Zunge schwer vom Wein. Man muss die alten Techniken in die neue Form hinüberretten. Sie hatten über Bewahrung geredet und über Betrachtungsebenen. Die Philosophie der Tiefe, Mikrokosmos und Raum. Auch wenn Helene schließlich dazugekommen war, und mit sanftem Spott der Unterhaltung eine andere Richtung gegeben hatte.
    Er legte den Pinsel beiseite und wandte sich zu dem anderen Gemälde, das auf der zweiten Staffelei neben dem Tisch stand. Sacht berührte er die Leinwand mit einem Finger, um zu prüfen, ob die Grundierung getrocknet war. In den Fugen unter der Staffelei

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