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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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in seine Knie. Wieder kam ihm der Verdacht, etwas könnte mit dem Wein gewesen sein. Die Übelkeit schwappte mit einem Mal hoch.
    Er sackte zurück und presste die Handflächen gegen den Boden und kämpfte gegen den Brechreiz an. So blieb er liegen, die Augen gegen die Decke gerichtet. Er war erschöpft, aber wollte nicht schlafen. Schlaf kostete Zeit.
    Und Zeit hatte er keine. 
     
     
     
    Am frühen Morgen erwachte er.
    Er zitterte vor Kälte. Seine Glieder schmerzten. Hinter seiner Stirn tobte ein so reißender Schmerz, dass ihm fast schwarz vor Augen wurde. Mühsam erhob er sich und schleppte sich ins Bad. Er trank Wasser aus den hohlen Handflächen, riss den Wandschrank auf und suchte nach der Paracetamol-Packung. Er stieß ein Glasfläschchen um, das scheppernd ins Waschbecken stürzte.
    Einen Fluch murmelnd, richtete er sich auf. Wasser troff ihm vom Kinn, violette Ränder lagen unter seinen Augen, sein Spiegelbild zeigte ihm ein Gespenst.
    Er stolperte zurück in die Küche und durchwühlte die Schubladen. Schließlich fand er die Tabletten unter einem Stoß Zeitungen auf dem Fensterbrett. Mit zitternden Fingern drückte er zwei Paracetamol aus der Folie und würgte sie hinunter.
    Er lehnte sich gegen die Wand und wartete, dass die Kopfschmerzen nachließen. Seine Glieder waren wie Blei. Ungeschickt fummelte er die Zigarettenpackung aus der Hosentasche und zündete sich eine Gauloise an. Er bewegte sich langsam, um seinen Körper keiner Erschütterung auszusetzen.
    Die Kopfschmerzen klangen ab.
    Und später, nachdem er Kaffee getrunken und noch mehr Paracetamol geschluckt hatte, verblasste die Nacht wie ein schlechter Traum.
    Zur Mittagsstunde puderte er mit raschen kleinen Bewegungen Holzkohlenstaub über die durchstochenen Linien des Vermeer.
     
     

26
     
     
     
    „Und es macht Ihnen wirklich nichts aus?“ Unter gesenkten Wimpern hervor beobachtete Henryk Helenes Gesicht, während sie neben ihm her schlenderte wie eine langjährige Freundin.
    Sie lachte.
    Wenn sie lachte, wirkte sie sehr jung. Er wagte nicht, sie nach ihrem Alter zu fragen. Es schien ihm indiskret, vor allem, weil Peter so offensichtlich älter war als sie selbst.
    „Sie brauchen sich wirklich nicht schuldig zu fühlen!“ Sie schob sich den Riemen ihrer Handtasche zurück auf die Schulter. „Ich versichere Ihnen, Peter hat mich nicht gegen meinen Willen gezwungen.“
    Sie bummelten die Joseph-Stevens-Straat hinunter, die vom Place du Grand Sablon zur Iglesia de Notre Dame de la Chapelle führte. Die Kastanien am Kirchplatz standen in voller Blüte. Abgefallene weiße Blütenblätter sammelten sich in den Ritzen des Kopfsteinpflasters.
    „Seit wann haben Sie den Schlüssel für Ihre neue Wohnung?“, fragte sie.
    „Seit sechs Wochen.“
    „Und es ist wahr, dass sie noch kein einziges Möbelstück hineingestellt haben?“
    „Hat Peter Ihnen das erzählt?“
    „Hätte er das nicht tun sollen?“
    Er beschränkte sich auf ein hilfloses Lächeln.
    „Sie können sich ja immer noch damit herausreden, dass Sie viel zu tun haben.“
    „Also gut. Ich habe wahnsinnig viel zu tun. Ich schlafe in meinem Atelier auf der Couch.“
    „Wirklich?“
    Er nickte.
    Sie blieb stehen.
    „Was ist?“, fragte er.
    „Ich überlege, wo wir zuerst hingehen sollen.“
    Wind zupfte an ihren Haaren. In ihrem ausgewaschenen blauen Leinenkleid sah sie aus wie eine Studentin. Er musterte ihr Gesicht, die hellen Lippen, und wünschte sich plötzlich, dass mehr dahinter stand. Mehr als die Bitte ihres Mannes, ihn auf einer Einkaufstour zu begleiten, weil sie sich doch mit Möbeln auskannte, wie Peter erklärt hatte. 
    Sie machte eine kleine Geste. „Kommen Sie, wir gehen hier entlang.“
    „Haben Sie nach Ihrem Studium als Innenarchitektin gearbeitet?“
    Leicht runzelte sie die Stirn. „Jetzt legen Sie den Finger doch nicht direkt in die Wunde.“
    Er wollte sich entschuldigen und die Frage zurücknehmen, aber dann sah er, dass sie lächelte.
    „Vier Monate. In einem Architekturbüro in Ixelles, als Praktikantin. Was man eben so macht, direkt nach dem Studium. Bestandsaufnahme in Abbruchhäusern am Gare du Midi.“
    „Klingt nicht so gut“, murmelte er.
    „Das ist normal. Kein Mensch lässt dich entwerfen, wenn du frisch vom Studium kommst. Nach zwei Jahren Sklavendienst hast du die Nase voll und machst dich selbstständig. Manche schaffen es sogar.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe eben nicht so lange durchgehalten. Peter und ich, wir

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