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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Aus meiner Kindheit. Ich hatte es beinahe vergessen.“
    „Etwas Gutes?“
    Er nickte. „Als ich klein war, sind wir im Sommer immer zu meiner Großmutter gefahren.“
    „Wo war das?“
    „Brebu.“ Er schmeckte den Silben nach und verharrte noch etwas länger in seinem Versteck zwischen dem Nussbaum und den Stachelbeersträuchern. „Ein Dorf im Bezirk Prahova, achtzig Kilometer nördlich von Bukarest.“
    „Bukarest? Sie kommen aus Rumänien? Ich hatte mich schon wegen Ihres Akzents gefragt.“ Ihr Lachen klang verlegen, als hätte sie Angst, etwas Peinliches zu sagen. „Man hört ihn ja kaum, aber er klingt ungewöhnlich. Ich war noch nie in Osteuropa. Wenn ich die Namen dieser alten Städte höre, dann denke ich immer, das ist eine andere Welt.“
    „So anders ist es gar nicht. Sie wären enttäuscht.“
    „Das glaube ich nicht.“
    „Als ich vierzehn war“, sagte er, „dachte ich, Brüssel ist das gelobte Land. Und als ich es dann mit eigenen Augen sah, war aller Zauber verloren.“
    Sie legte den Kopf schräg. „Aber es ist kein schlechter Platz zum Leben, oder? Es gibt schlimmere Orte.“
    „Auf der Straße sind alle Orte gleich schlimm.“ Abrupt brach er ab. Es war ein Fehler gewesen, das zu sagen. Er wich ihrem Blick aus und konzentrierte sich stattdessen darauf, mehr Essen auf seinen Teller zu häufen.
    „Was meinen Sie damit?“, hörte er sie fragen.
    „Nichts. Vergessen Sie es. Ich wollte nur sagen, dass die Dinge von weitem anders aussehen.“
    Unschlüssig stand sie vor ihm, in der einen Hand ihren Teller, mit der anderen spielte sie an einer Naht ihres Kleides. Die Leichtigkeit war verflogen. Ungesagtes hing zwischen ihnen, Spekulation und Dunkelheit. Henryk wusste, dass er das fortwischen konnte. Doch die Worte kamen nicht, sie hingen fest in seiner Kehle und würgten ihn bei dem Versuch, die Stimme zu erheben.
    Schließlich brach Helene das Schweigen. „Mit Orten ist es wie mit allem anderen. Wir wollen, was wir nicht haben können, und wenn wir es endlich in den Händen halten, dann ist es nicht das, wovon wir geträumt haben.“
    „Ja“, sagte er erleichtert. „Ja, das wollte ich sagen.“
    „Sehen Sie, jetzt habe ich Ihnen die Worte vorweggenommen.“ Der Anflug eines Lächelns blitzte in ihren Augen. Der kritische Moment war vorüber. „Jetzt erzählen Sie mir, warum mein Essen Sie an Ihre Großmutter erinnert.“
    „Ich weiß, das ist schwer zu erklären. Aber ich musste an Stachelbeeren und Zitronenmelisse denken und im Garten meiner Großmutter wachsen Melissensträucher.“
    Und dann erzählte er ihr von Viktor und wie sie einmal einen Maulwurf zwischen den Stachelbeerbüschen gefangen hatte. Sie entfernten sich vom Buffet und folgten einem gewundenen Weg, der zu einem Teich führte. Erst, als der Wind auffrischte und Helene in ihrem schulterfreien Kleid zu frösteln begann, kehrten sie um.
    „Wo ist Ihr Mann?“, fragte er. „Ich habe ihn gar nicht gesehen.“
    „Irgendwo zwischen den Gästen.“ Ihre Absätze klapperten, als sie die Stufen zur Terrasse erklommen. „Kommen Sie, wir gehen ihn suchen.“
    Das war nicht die Absicht hinter seiner Frage gewesen. Aber was konnte er tun, außer zu nicken und ihr zurück ins Haus zu folgen? Die Doppeltüren zum Galerietrakt waren weit geöffnet. Er hörte Stimmen, das Klirren von Glas, ein warmes Lachen.
    Im angrenzenden Raum standen zwei Frauen und unterhielten sich.
    „Habt ihr Peter gesehen?“, fragte Helene.
    „Hinten im Salon“, sagte die Ältere der beiden. „Liebes, habt ihr renoviert?“
    „Ein bisschen.“ Helene machte eine wegwerfende Kopfbewegung. „Peter hat die neue Alarmanlage installieren lassen, da haben sie auch gleich die Wände gestrichen. Ihr besucht uns viel zu selten.“ Sie fasste die Frau kurz am Arm. Dann wandte sie sich zurück zu Henryk: „Kommen Sie, wir gehen Peter beim Angeben stören.“
    Er lächelte, plötzlich befangen.
    „Das ist Tante Hilde“, sagte sie, als sie sich ein Stück entfernt hatten. „Sie wohnt in Koksijde am Meer. In meiner Studienzeit habe ich sie oft besucht. Es gibt dort keine Stachelbeersträucher“, sie kicherte, „aber frische Krabben. Und Kirschbäume.“
    „Sind Sie hier geboren?“
    „Meine Eltern leben in Bruges.“ Sie strich sich das Haar hinter die Ohren. „Ich bin nach Brüssel zum Studium gegangen und habe Peter kennen gelernt. So bin ich hier hängen geblieben.“
    „Was haben Sie studiert?“
    „Innenarchitektur.“
    Er nickte

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