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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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an seiner Seite, die auf schwer greifbare Art seine Sinne berührte. 
    Vor einem Straßencafé blieb er stehen. „Hier?“
    Sie zog einen der Korbsessel zurück und ließ sich in die Polster sinken. „Wissen Sie, dass ich Sie beneide? Die ganze Zeit schon. Dass dieser Tisch jetzt Ihnen gehört.“ Ihre Finger zupften an den Stiefmütterchen, die in einem kleinen Topf auf dem Tisch standen. „Als ich noch Studentin war, habe ich von solchen Möbeln geträumt. Ich bin immer ins T9 gegangen und habe mir die schönen Tische und Regale angesehen und gedacht, eines Tages kann ich mir das kaufen. Eines Tages.“ Ihr Blick verlor den Fokus. Sie zupfte eines der Blütenblätter ab und hielt es ins Licht.
    Er wusste nicht, was er erwidern sollte. Eine merkwürdige Stimmung hüllte sie ein. Und er wagte nicht, die Stille zu brechen, aus Furcht, etwas Falsches zu sagen.
    Sie ließ die Hand wieder sinken. „Damals hatten sie einen Tisch von Paolo Navone, mit Rattanfüßen und einer Sandsteinplatte. Ich hätte getötet für diesen Tisch.“ Ihr Lachen brach wie Perlen ans Licht und wischte die Beklommenheit beiseite. „Aber er hätte sowieso nicht in mein Appartement gepasst.“
    „Also hat jemand anderes ihn gekauft.“
    „Ja.“ Ein nachdenklicher Zug glättete ihre Lippen. „Eines Tages stand er nicht mehr da. Und ich konnte endlich wieder ruhig schlafen.“
    Sie orderten Milchkaffee und Brioche und schwiegen eine Zeitlang.
    „Wie geht es dem Vermeer?“, fragte Helene. 
    „Gut.“
    „Ich bin so gespannt auf das Bild. Wann sind Sie fertig?“
    „In diesem Sommer.“
    Sie lächelte. „Das ist keine sehr präzise Zeitangabe. Und das Motiv ist noch geheim?“
    „Die Existenz des Bildes an sich ist geheim.“
    „Das heißt, ich weiß ohnehin schon zu viel.“
    Er erwiderte ihr Lächeln und er blinzelte, weil die Sonne ihn blendete. „Wenn ich Ihnen mehr darüber erzähle, müssten wir ein gemeinsames Geheimnis hüten.“
    „Ich liebe Geheimnisse. Als kleines Mädchen hatte ich ständig Geheimnisse.“
    In diesem Moment konnte er das Band fast greifen. Er bildete sich das nicht ein. Er betrachtete ihre Finger, ihre Hände, ihr Gesicht und dachte, dass sie hier nicht mit ihm sitzen würde, wenn da nichts war. Das Bedürfnis, etwas mit ihr zu teilen, wurde übermächtig. „Sie müssen versprechen, dass Sie es für sich behalten.“
    Sie nickte und stützte ihr Kinn auf die Handgelenke. In ihren Mundwinkeln schlummerte das Lächeln.
    „Sie dürfen es niemandem erzählen. Auch Ihrem Mann nicht.“
    Die Grübchen in ihren Mundwinkeln vertieften sich.
    „Vor allem nicht ihm.“
    Jetzt lächelte sie ihn offen an.
    „Also?“ Henryk zögerte.
    „Ich schwöre.“
    „Es ist eine Frau. Vielleicht die gleiche wie auf dem anderen Gemälde, ich bin nicht ganz sicher. Die Farbschicht ist stark beschädigt.“ Seine Fingerspitzen kribbelten. „Sie steht vor einem Fenster. Ihr Kopf ist leicht zum Betrachter gewandt, als hätte er sie überrascht.“
    „Und die Blumen?“
    „Was meinen Sie?“
    Helenes Augen verengten sich. Er sah, dass sie aufgeregt war. „Als Peter Sie gefragt hat, ob es Blumen auf dem Bild gäbe.“
    „Und was habe ich geantwortet?“ Er schlug einen scherzhaften Ton an, um zu kaschieren, dass er nervös war.
    „Kein Kommentar.“ Sie hob eine Augenbraue. „Blumen oder keine Blumen?“
    „In ihrem Haar steckt eine Kornblume. Sie hat eine Hand leicht erhoben, mit einer zweiten Blüte, als wollte sie sie ebenfalls im Haar befestigen. Auf einem Tisch neben ihr steht ein Korb mit Früchten und noch mehr Kornblumen.“
    „Wie ist die Komposition?“
    „Es ist ein Hochformat. Stellen Sie sich vor, dass ganz links angeschnitten das Fenster sitzt.“ Er hielt inne. „Warten Sie.“
    Er tastete nach einem Bleistift in der Jackentasche. Mit groben Strichen skizzierte er den Bildaufbau auf seine Serviette. Er modellierte die Gestalt des Mädchens am Fenster, schraffierte die Schatten im Bild.
    Helene streckte eine Hand aus. „Darf ich?“
    „Bitte.“
    Sorgfältig drückte sie die Ränder glatt. „Sie sind ein guter Zeichner.“
    Verlegenheit mischte sich in sein Hochgefühl, wie Farbschlieren in klares Wasser. „Wenn ich etwas sehe“, murmelte er, „kann ich es auch zu Papier bringen.“
    „Egal was es ist?“
    Eine Windböe zupfte an den Sonnenschirmen. Irgendwo klapperte Porzellan.
    „Ich zeige es Ihnen. Geben Sie mir Ihre Serviette?“
    Sie reichte sie ihm über den Tisch.
    „Nicht bewegen

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