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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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hatte.
    Stattdessen badete er den Pinselquast in schwarzer Farbe, dünn verrührt mit Öl. Er setzte die Spitze auf die Leinwand und zeichnete in einer glatten Bewegung seine Initialen. Mit leiser Irritation bemerkte er, dass ihm der Schriftzug Vermeers leichter von der Hand ging als seine eigene Signatur. Aber schließlich hatte er ihn tausendfach trainiert.
    Wehmut überwältigte ihn, süße Traurigkeit.
    So wie es war, wenn man Abschied nahm.
     
     
     
    Er wickelte das kleine Gemälde in Zeitungspapier und verklebte die Lagen mit Paketband. Glockengeläut hallte durchs offene Fenster. Er fröstelte, als Wind die Härchen auf seinen Armen aufrichtete.
    Zurück am Tisch, suchte er nach der Zeitung. Eine alte Ausgabe war das, tief im Stapel aus Büchern und Papier vergraben. Doch er wusste, dass sie dort war. Er erinnerte sich genau.
    Methodisch suchte er, dieses Mal ohne Hast.
    Kurz überfiel ihn das Bedürfnis, Helene nochmals auszuwickeln. Die Vorstellung, seine Lippen auf ihre zu drücken, erfüllte seinen Geist für ein paar Herzschläge mit Sehnsucht. Doch er blieb standhaft.
     
     
     
    Er trennte die Seite mit einem Messer heraus und markierte die Anzeige mit dicken Strichen. Sorgfältig faltete er sie zusammen und schob sie in einen Umschlag.
    Es war kurz vor Zehn, als er die Adresse auf das Päckchen schrieb.
    Er tastete nach dem Telefon in seiner Hosentasche und erinnerte sich, dass er es fortgeworfen hatte. Verärgert biss er sich auf die Lippen. Plötzlich war da ein Bruch im Licht. Er trank den letzten Rest Wein, trat ans Fenster und lehnte sich hinaus. Eine Telefonzelle stand am Ende der Straße. Er hatte sie oft genug benutzt.
    Früher.
    Als er ein anderer gewesen war.
     
     
     
    Im Innern der Kabine stank es nach Schweiß und kaltem Rauch. Er lauschte dem Klappern der Münzen, die in den Schacht rollten. Sein Finger markierte einen Eintrag im Telefonbuch.
    Er wählte mit zitternden Fingern.
    Kälte drang ihm in die Knochen, während er dem Klingeln lauschte. Jemand hob ab, eine gelangweilte Stimme.
    „Ich möchte ein Päckchen verschicken“, sagte er.
    „Heute noch?“ Die Stimme am anderen Ende, mechanische Höflichkeit, gehörte einer Frau. „Haben Sie eine Kundennummer?“
    Er verneinte.
    „Geben Sie mir bitte Ihren Namen und Ihre Adresse?“
    Er hörte Tasten klappern, während er seinen Nachnamen buchstabierte.
    „Empfänger?“
    „Peter Baeskens. Avenue du Manoir Nummer Vier.“
    „In Ukkel?“ Die Frau zögerte einen Moment. „Ich schicke Ihnen einen Taxikurier. Ist in zwanzig Minuten bei Ihnen.“
    „Danke.“ Henryk legte auf.
    Der Abschiedsschmerz wurde übermächtig.
     
     
     
    Der Kurier war ein untersetzter Italiener. Er trug eine Wollmütze und Flicken auf den Ellenbogen seiner Jacke.
    „Dauert ungefähr zwanzig Minuten“, sagte der Mann.
    „Geben Sie es der Haushälterin.“ Henryk löste seine Finger vom Päckchen. „Peter Baeskens ist nicht da.“
    „Ist das zerbrechlich?“
    „Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Keine Sorge.“
    Nicht zerbrechlich. Nicht mehr.
    Der Kurier reichte ihm eine Visitenkarte. „Hier ist meine Telefonnummer, für alle Fälle.“
    Henryk schob sie in seine Hosentasche und schloss die Tür hinter dem Mann. Mit Kraft hielt er sie zurück, bis sie ins Schloss einrastete. Ganz vorsichtig, ohne einen Laut.
    Er hörte, wie der Fahrstuhl anfuhr, wie sich quietschend die Kabine absenkte. Dann kehrte wieder Stille ein.
    Er lauschte in sich hinein. Dort fand er Bedauern und leisen Schmerz, der stetig an Schärfe verlor. Er suchte nach Furcht, doch konnte nichts finden.
    Erleichterung breitete sich in ihm aus.
    Er hatte alles zerstört.
    Doch wenigstens aus freiem Willen.
     
     
     
    Das Schrillen der Klingel zerbrach jäh den Frieden.
    Henryk regte sich nicht. Er stand im Dunkeln neben dem Fenster und spürte die Feuchtigkeit auf seinen Armen.
    Es klingelte erneut.
    Er fragte sich, ob der Kurier etwas vergessen hatte. Eigentlich sollte er die Tür öffnen und ihn einlassen, aber er konnte sich nicht bewegen. Vielleicht, weil er fürchtete, dass es seinen Mut brechen würde. Dass er das Päckchen zurück forderte, wenn er es erneut vor sich sah.
    Die Klingel schlug heftiger an, in schnellen asthmatischen Stößen. Ein Schatten verdunkelte den Lichtstreif unter der Tür. Jemand bewegte sich auf der anderen Seite.
    Plötzlich war er nicht mehr sicher, ob er die Adresse richtig aufgeschrieben hatte. Was, wenn der Kurier nicht ausliefern konnte,

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