Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)
natürlich noch eine dritte Möglichkeit gab – vielleichthatte ich ja den Verstand verloren oder jedenfalls den Teil, auf den ich mich immer gestützt hatte: Mein Erinnerungsvermögen und mein logisches Denken. Diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht zu ziehen, konnte ich mir aber gar nicht leisten, da mir meine himmlischen Verbindungen, die mich unterstützten, immer mehr abhandenkamen. Mein bester Freund lag im Krankenhaus, vielleicht sogar im Koma, mein liebster Aufenthaltsort war verwüstet, und meine Bosse waren sauer auf mich. Wenn ich meinem eigenen Urteil nicht trauen konnte, war ich wirklich verraten und verkauft.
Morgenlicht drang durch die Vorhänge in Clarences Souterrain-Einliegerzimmer. Ich sage Einliegerzimmer, aber es sah eher aus wie die Sorte Zimmer, auf die ein längst erwachsen gewordener Sohn bei Besuchen in seinem Elternhaus noch immer fraglos zurückgreifen kann. Ein elaborierter (und staubfreier) Modell-Doppeldecker baumelte an einer Nylonschnur von der Decke, an der Wand hing ein Giants-Mannschaftsposter, und das Bücherregal war voll mit Science-Fiction-, Sport- und Abenteuerbüchern. Selbst das Bett, auf dem Clarences derzeit unbewohnter Körper lag, schien einst einem Jungen gehört zu haben. Die Bettdecke zierte das Logo der San Judas Jacks, eines unterklassigen Basketball-Teams, das vor einigen Jahren eingegangen war.
Dass Clarences Seele noch im Himmel weilte, hieß aber nicht, dass sein Körper tot war, unsere Herren und Meister haben das sinnvoller organisiert: Der Junge zeigte alle optischen (und akustischen) Merkmale eines Schlafenden. Ich lag da, wartete, dass er aufwachte, und ging währenddessen noch mal alles durch, was sich bei diesem seltsamen Besuch dort oben ereignet hatte. Ich wusste noch, dass mir der Gedanke, ich könnte vielleicht nicht der Einzige mit Autoritätsproblemen sein, ungemein wichtig erschienen war, aber wie so oft war zwar der Gedanke selbst noch da, nicht aber das, was seine Bedeutsamkeit ausgemacht hatte.Dennoch, es war etwas, worüber ich nachdenken konnte, während ich Clarences leisem Schnarchen lauschte.
Ich überlegte, Caz anzurufen. Das hatte ich in den letzten vierundzwanzig Stunden oft erwogen, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Teufel noch mal, ich wusste nicht mal, was ich fühlte . Na ja, doch, ich wusste es schon, aber das war Teil des Problems – ich hatte jemandem von der Gegenseite gegenüber nicht so zu fühlen.
»Wo ist der Kaffee?«, sagte ich, als Clarences Augen sich zögernd öffneten.
Er stöhnte. »Ey, Mann, lassen Sie mir einen Moment Zeit …!«
»Einen Moment? Engel, bitte. Ich tue schon mindestens eine halbe Stunde nichts anderes, als hier zu liegen und dich atmen zu hören wie einen asthmatischen Basset. Du solltest dich mal auf Schlafapnoe untersuchen lassen. Es hört sich an, als ob du deine Zunge zu schlucken versuchst.«
»Echt?« Erschrocken setzte er sich auf.
»Nein. Aber schön, dass dein Herz jetzt ordentlich schlägt. Beschaff mir einen Kaffee und erzähl mir dann, was du im Archiv gefunden hast.«
»Sie sind ein Arschloch, Bobby.«
»Ich versuche nur, das heilige Werk des Herrn zu verrichten.«
Er führte mich in die Küche hinauf und setzte in einer Cafetière etwas an, das angemessen schwarz und stark aussah. »Sind Sie sauer auf mich, wenn ich nicht alles gefunden habe, was Sie wollten?«, fragte er.
»Kommt drauf an. Sprich.«
Er sah aus wie ein Kind, das fest mit einem Monat Hausarrest rechnet. »Also … na ja, außer für diesen Patrillo gab es einfach nichts unter diesen Namen.«
»Wirklich?« Ich sah ihn streng an, war aber in Wirklichkeit erfreut. Er hatte den Test bestanden und mir gleichzeitig bestätigt,was ich schon vermutet hatte. Jose Maria Patrillo, Chef einer christlichen Wohltätigkeitsorganisation, die sich Der sechste Engel nannte, gehörte als Einziger von den Namen, die ich dem Jungen genannt hatte, nicht zu denen, die Fatback in Zusammenhang mit der Magianischen Gesellschaft oder deren mutmaßlichen ausländischen Ablegern gefunden hatte. Wie zu erwarten, hatte Clarence keine Unterlagen über irgendeine dieser Personen auftreiben können, außer über den hineingemogelten Patrillo. Die Namen, die mit den Magianern zu tun hatten, waren allesamt Pseudonyme. »Wirklich, Junge? Über die anderen gab es nichts? Gar nichts? Nicht mal Gerüchte?«
»So funktioniert das nicht!« Er war sichtlich beleidigt wegen meiner Zweifel. In Wirklichkeit war ich ja froh, dass sich
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