Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)
sich an einem Ende leicht nach oben. »Glauben Sie das wirklich? Dass es hier um die Wahrheit geht? Mein Junge, wenn wir die faktische Wahrheit immer zur offiziellen Wahrheit erheben würden, wäre dieser kalte Krieg schon lange ein heißer. Sie erinnern sich doch an Sodom und Gomorra? Oder haben zumindest davon gehört? Also, ersetzen Sie die Namen durch Rio, Berlin oder Shanghai und denken Sie sich diese Städte bis auf die Grundmauern niedergebrannt, mit Millionen Toten nur so als kleiner Vorgeschmack, und Sie können erahnen, warum Sie jetzt tun werden, was man Ihnen sagt.«
Zehn Minuten später eskortierte er mich in den Elysium-Saal des Ralston, den Ballsaal, wegen des Wolkenhimmelgemäldes an der hohen Decke auch Wolkensaal genannt. Einen solchen Raum mit seinen Dämonenkohorten und den himmlischen Feinden vollzupacken, musste Eligor unendlich amüsiert haben, und voll war es wahrhaftig: Mindestens ein paar hundert Leute waren um die Tische gruppiert, wenn auch die meisten Stühle der besseren Sicht wegen bereits zur Bühne gedreht worden waren,wo sich an einem langen Tisch mit Mikrophonen das Hauptspektakel abspielen würde. Bis auf Karael waren die zentralen Figuren beider Seiten schon auf ihren Podiumsplätzen: Eremiel, unser himmlischer Höllenexperte, der mit seinem knochigen Gesicht und vergleichsweise langen Haar wie ein Abolitionistenprediger des neunzehnten Jahrhunderts aussah, ausgesprochen passend zu dem Gründerzeitambiente. Der dritte wichtige Engel musste Phanuel sein, der berühmte Engel des Exorzismus, aber verglichen mit dem übrigen Aufgebot im Elysium-Saal war er äußerlich nicht besonders interessant, nur ein weiterer Hollywood-Hauptdarsteller im dunklen Anzug.
Die Gegenseite hatte, wie zu erwarten, visuell etwas mehr zu bieten. Sobald man es schaffte, den Blick von Prinz Sitris wabbeliger Masse loszureißen, erblickte man Adramelech, einen der alten Erzbösen; er hatte sich weniger als die anderen darum bemüht, halbwegs als Mensch durchzugehen. Von weitem sah er ganz okay aus: einfach ein alter Mann im schwarzen Anzug, mit einer Hautfarbe, die auf reichlich Höhensonne schließen ließ. Erst von näherem merkte man, dass die Oberfläche seines Gesichts weniger wie Haut aussah als vielmehr wie eine Maske aus Sandstein, gelblich und körnig. Das Einzige, was sich bewegte, waren die Augen, schwarz wie flüssiger Teer. Allein schon der Anblick, wie er da saß und absolut reglos des Beginns der Veranstaltung harrte, machte deutlich fühlbar, was für ein Riesending das Ganze war. Adramelech jagte mir Angst ein. Eine Scheißangst.
Der Letzte der satanischen Verhandlungsführer sah am normalsten aus; im schicken Maßanzug und mit einer schwarzrandigen Hipster-Brille wirkte er wie ein Firmenanwalt aus der Unterhaltungsindustrie. Das war Caym, ebenfalls ein hohes Tier, Vorsitzender des Höllenrates und einer der Gewieftesten im Stall der Opposition. Was mich jedoch besonders interessierte, war, dass er laut Fatback zugleich als Eligors Sprachrohr fungierte und in der politischen Arena der Hölle die Interessen desGroßfürsten durchzuboxen versuchte. Ich befand, dass ich ihn besonders genau im Auge behalten musste, um irgendwelche Hinweise zu bekommen, was Eligor plante.
Darüber hinaus saßen auf dem Podium noch etliche andere Leute, die Größten und Besten (bzw. Fiesesten und Miesesten) beider Seiten. Terentia und Chemuel, Mitglieder des Ephorats, das mich im Himmel gegrillt hatte, waren in menschlicher Gestalt anwesend, dazu weitere Engel und Dämonen, die ich auf den ersten Blick nicht erkannte.
»Nicht gaffen«, sagte Karael scharf in mein Ohr. »Ich gehe jetzt da rauf. In der zweiten Reihe ist ein Platz für Sie reserviert. Setzen Sie sich da hin, halten Sie den Mund und denken Sie an alles, was ich Ihnen gesagt habe.«
Während der Kriegerengel das Podium erklomm, wobei sein Rücken so gerade war wie die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten, fand ich den Stuhl mit dem Schildchen »Dollar« und schlüpfte auf meinen Platz. Wie bei einer Hochzeit zwischen verfehdeten Familien saßen die Anwesenden nach Lagerzugehörigkeit getrennt, und es hatte mich schon lange nicht mehr so gefreut, mich von Mitbediensteten des Höchsten umgeben zu wissen.
Als auch Karael seinen Platz eingenommen hatte, ging die Konferenz endlich los. Adramelech – der den Vorsitz führte, da es ein Heimspiel der Gegenseite war – hielt die Eröffnungsansprache, ein diffuses Wortgeklingel, das es schaffte,
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