Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
Chrysanthemen heraus und strich ein wenig davon auf ihre Wunde. Die Salbe linderte den Schmerz nur leicht, aber sie entspannte
sich so sehr, als sei er mit einem Schlag verschwunden. Sie hielt Kosmas den Tiegel so gleichmütig hin, wie sie konnte.
»Herr?«, fragte einer der Diener.
»Mach schon!«, gebot ihm Kosmas ungeduldig. Jetzt, da seine Diener wieder im Raum waren, durfte er keine Furcht zeigen, weil ihn das in ihren Augen herabgesetzt hätte.
Der Diener gehorchte und trug eine große Menge davon auf.
Beide Wunden wurden verbunden, und die Diener holten mehr Wein, weitere Gläser und einen blauen Porzellanteller mit Honigkuchen.
Eine Viertelstunde später begann Kosmas stark zu schwitzen, und das Atmen fiel ihm schwer. Das Glas entglitt seiner Hand und rollte davon, während sich der Wein auf dem Boden ausbreitete. Er griff nach seiner Kehle, als wolle er ein zu eng sitzendes Kleidungsstück lösen, aber da war nichts. Dann begann er zu zittern, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte.
Zoe stand auf. »Schlaganfall«, sagte sie knapp und sah auf ihn herab. Dann wandte sie sich um, ging mit langsamen Schritten zur Tür und rief die Diener. »Er hat einen Anfall. Ihr solltet besser nach einem Arzt schicken«, teilte sie ihnen mit.
Nachdem sie ihrer Anweisung mit vor Panik bleichen Gesichtern gefolgt waren, kehrte sie dorthin zurück, wo Kosmas am Boden lag. Das Gift wirkte rasch, aber er würde mindestens noch eine Stunde leben.
Er keuchte und schien sich ein wenig zu erholen. Obwohl es sie anwiderte, seinen unmäßig dicken Leib zu berühren, beugte sie sich vor und half ihm, eine Stellung einzunehmen, in der ihm das Atmen leichter fiel. Falls sie das
unterließ, würde man sie später fragen, warum sie es nicht getan hatte.
»Das ist Euer Werk!«, stieß er mit wutverzerrtem Gesicht hervor. »Ihr wollt meine Ikonen stehlen. Diebin!«
Während sie sich noch näher über ihn beugte, spürte sie, wie ihre Angst sie verließ. »Euer Vater hat sie dem meinen gestohlen«, zischte sie ihm ins Ohr. »Ich möchte, dass sie wieder ihren Platz in den Kirchen einnehmen, damit Pilger kommen und in Byzanz erneut Wohlstand und Sicherheit einkehren. Ihr, Eure Familie und Euer Blut seid die Diebe. Ja, ich habe Euch das angetan! Merkt es Euch gut, Kosmas. Glaubt es!«
»Mörderin!«, stieß er hervor, doch es kam kaum lauter als ein Seufzer aus seinem Mund.
Sie ging in den Raum mit den Ikonen, nahm die Darstellung der Jungfrau Maria ab und schlug sie in ihr Gewand ein.
Mit einem Lächeln ging sie zur Tür, wo die Diener warteten, um sie hinauszugeleiten.
KAPİTEL 10
Am letzten Apriltag des Jahres 1274 stand Enrico Palombara im mittleren Hof seiner eine Meile vom Lateranpalast entfernten Villa. Die neuen Blätter der Reben bildeten ein grünes Gitter vor den ockerfarbenen Mauern. Das Sonnenlicht war von der Klarheit, die man nur im Frühling sieht, und die flirrende Hitze des Sommers, die alles verdorren lassen würde, lag noch weit in der Zukunft. Der Klang von herabfallendem Wasser lullte ihn ein.
Er hörte das Zwitschern der Vögel, die unter dem Dachvorsprung ihre Nester bauten. Ihr rastloser Fleiß gefiel ihm. Sie beteten nicht wie die Menschen, und so ängstigte es sie auch nicht, dass niemand auf ihr Zwitschern antwortete.
Er wandte sich um und ging ins Haus. Papst Gregor hatte nach ihm geschickt, und er musste darauf achten, pünktlich dort zu sein. Zwar wusste er nicht, worüber der Heilige Vater mit ihm sprechen wollte, doch hoffte er, dass sich dabei die Aussicht auf eine neue Ernennung ergab und er nicht wieder nur als Sekretär oder Gehilfe des einen oder anderen Kardinals tätig sein musste.
Er beschleunigte den Schritt, so dass seine langen Bischofsgewänder flatterten. Er nickte Menschen zu, die er kannte, tauschte hier und da einen Gruß, doch mit seinen Gedanken war er bereits bei dem Gespräch, zu dem man ihn gerufen hatte. Vielleicht würde ihn Gregor X. als Legaten an den Hof eines der großen europäischen Königreiche wie Aragón, Kastilien oder Portugal entsenden, wenn nicht gar an den des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches, was ihm besonders lieb wäre. Jede dieser Möglichkeiten würde ihm eine glänzende Laufbahn eröffnen – warum nicht gar eines Tages die Erhebung auf den Stuhl Petri? Auch Urban IV. war vor seiner Wahl zum Papst Legat gewesen.
Schon bald überquerte er den großen Platz und schritt über die breite, flache Treppe zum Lateranpalast empor. Er meldete
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