Die Echsenwelt: Ein Pip& Flinx Roman
nicht wahrscheinlich vor.
Flinx stand vor einem völligen Rätsel. Diese Spur war viel zu verwickelt, als dass er sie hier und jetzt entwirren konnte. Besser, er konzentrierte seine Bemühungen auf den Inhalt der gestohlenen Syb. Alles Weitere war im Augenblick nebensächlich und konnte später geklärt werden.
Aus einer Tasche kramte er einen Chyp hervor und schob ihn in den passenden Slot auf dem Schreibtisch. Der winzige Nanospeicherstreifen würde alle Daten, die er benötigte, fassen. Beiläufig fragte er sich, was ein »Chyp« wohl ursprünglich einmal gewesen war. Wie so vieles war auch der Ursprung gebräuchlicher Bezeichnungen für jede Form portabler Speichermedien in den Nebeln grauer technologischer Vorzeit versunken.
»Die Reiseroute des Frachters Crotase transferieren und anzeigen.«
»Das wäre Diebstahl.« Die Stimme der KI blieb zum Verücktwerden gelassen. »Es könnte negative Folgen haben. Ich besitze nicht die Befugnis – und Sie ebenso wenig.«
»Hier wurde bereits ein Verbrechen begangen.« Flinx verlor allmählich die Geduld, und die Zeit drängte. »Und zwar nicht von mir. Mag ja sein, dass du gehalten bist, Protokolle zu generieren. Aber zur Untermauerung der vorliegenden Fakten wäre es sicherlich vorteilhaft, wenn die Behörden in der richtigen Art und Weise alarmiert würden. Das heißt, sie müssen im Zweifelsfall auf Zeugen zurückgreifen können. Das wäre in diesem Fall ich.«
»Ich benötige keine Zeugen. Mein Speicher ist unbestechlich.«
»Du vielleicht nicht, aber menschliche Richter haben während eines Gerichtsverfahrens immer ganz gern welche zur Hand. Mein Gedächtnis reicht nicht einmal annähernd an deines heran. Um es zum Nutzen der Behörden aufzufrischen, brauche ich Zugang zu jeglichem sachdienlichen Material. Bitte leite also den Kopiervorgang ein.«
Die KI schien zu zögern. »Ihre Argumentation ist überzeugend. Ich bitte Sie jedoch zu bedenken, dass ich dieses Gespräch durch ein Protokoll festhalten werde, das zusammen mit allem übrigen relevanten Material auf Anfrage den Behörden zur Kenntnis gebracht wird.«
»Einverstanden«, erwiderte Flinx mit einer wegwerfenden Handbewegung. Er hätte bedenkenlos so ziemlich allem zugestimmt, da er ohnehin nicht die Absicht hatte, sich hier so lange aufzuhalten, bis er die Konsequenzen für sein Handeln zu spüren bekam.
»Ausgezeichnet. Ich beginne mit dem Transfer.«
Eine Erdhälfte entfernt, in einem ausgedehnten Geschäftskomplex an der östlichen Peripherie des Bangalore Wirtschaftsrings Nummer Drei, saugte die übergeordnete Daten-KI des Planeten eine winzige, scheinbar unbedeutende Syb aus dem Herzen eines Ranglou Level Acht Industrie-KI-Servers heraus. Innerhalb von Sekunden sprachen selbstaktivierende Schaltungen an, die tief in der Matrix der Ranglou-Einheit verborgen waren. Einzig der Umstand, dass die weitaus leistungsfähigere Shell-KI im Nanosekundenbereich operierte, verhinderte eine Katastrophe von ungeheuerem Ausmaß. Wie sich zeigte, erfolgte der Konterschlag des Ranglou schneller, als irgendjemand hätte vorhersehen können. Die Geschwindigkeit und Rigorosität seiner Reaktionen hätten eher zu einer militärischen denn zu einer grundsätzlich privatwirtschaftlichen Einrichtung gepasst.
Eine Welle der Verwüstung fegte durch den Cyberspace, verbrannte Dutzende von Pfaden und vernichtete Routings, als die Sabotagegegenmaßnahmen, die in dem unwissenden Ranglou gebündelt waren, die Spur des diebischen Eindringlings zu ihrem Ursprung zurückverfolgten. Die Anwendung kannte keinerlei Bedenken, mähte reihenweise Sicherheitssperren und Schutzvorkehrungen nieder, als hätten sie keine Berechtigung. Allein demütiger Abstand konnte vor weiterem Schaden bewahren.
Zunächst schien es Flinx, als wäre noch alles in Ordnung. Der schwebende Bildschirm und die Karte der Galaxis standen immer noch vor ihm, und die Shell-KI wartete auf seine nächsten Befehle. Er beugte sich nach vorn und zog das Nanospeichermedium aus dem Slot. Mit einem raschen Check vergewisserte er sich, dass das angeforderte Material auch wirklich transferiert worden war. Später, auf seinem Raumschiff würde er die Daten an die KI der Teacher übermitteln, die daraufhin die Koordinaten der Crotase samt deren kompletter Reiseroute in das Schiffsnavigationssystem aufnehmen würde.
Doch kaum hatte er den Chyp entfernt, da begann es in der Steckvorrichtung zu knistern. In der nächsten Sekunde schlugen Flammen aus der Öffnung.
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