Die Ecstasy-Affäre
der Besuch fast unheimlich. »Sie wollen als Doktor in meine Bude ziehen? Das ist doch … ungewöhnlich.«
»Ich will es Ihnen erklären. Ich habe in Hamburg einen Auftrag zu erledigen, von dem ich nicht weiß, wie lange er mich in dieser Stadt festhält. Es kann Wochen, aber auch Monate dauern. Im Hotel zu wohnen ist mir zu teuer. Deshalb suche ich ein möbliertes Zimmer. Ihres wird mir gefallen.«
»Sie kennen es doch noch gar nicht.«
»Aber ich habe Sie kennengelernt und habe das Gefühl, daß ich bei Ihnen bestens aufgehoben bin.«
Bertha Hellenkamp zögerte. Dieser Doktor wurde ihr sympathischer, und was er erklärte, klang glaubwürdig. Aber immer noch wollte es nicht in ihren Kopf, daß ein solcher Herr ihr Zimmer mieten wollte.
»Sehen Sie sich das Zimmer erst mal an«, sagte sie freundlicher. »Um es vorwegzunehmen: Wir sind hier von Huren eingekreist.«
»Das stört mich nicht.« Habicht lachte kurz auf. »Ich werde mich nicht verführen lassen.«
»Sie sind in München verheiratet?«
»Ich bin Witwer.«
Dr. Habicht wurde Bertha noch sympathischer. Ein Witwer. Das gemeinsame Leid schlug eine Brücke. »Kommen Sie«, sagte sie und ging voraus. »Das Zimmer hat ein Fenster zum Hinterhof. Gegenüber wohnen sechs Huren. Manchmal zieht eine nicht die Gardine vor, und Sie können alles sehen.«
Das Zimmer war lang und schmal. Ein Bett stand darin, ein alter Kleiderschrank, ein Tisch mit zwei Stühlen, ein Bücherbord hing an der Wand, auf einer Kommode befand sich ein alter Schwarzweißfernseher, auf einem anderen Bord waren Tassen, Untertassen, Teller, Gläser und Bestecke untergebracht. Ein alter Wollteppich bedeckte die Dielen. Ein Rolladen vor dem Fenster verwehrte die Einsicht. Ein spartanisches Zimmer.
»Das Badezimmer und die Toilette sind gleich nebenan. Sie können immer baden … Ich bade mich nur sonntagmorgens.« Bertha schielte zu Habicht hinauf, er war einen Kopf größer als sie. »Gefällt Ihnen das Zimmer?«
»Sehr …«
»Wirklich?«
»Ich werde mich hier wohl fühlen.«
»250 Mark im Monat mit Frühstück. Für das andere Essen müssen Sie selbst sorgen. Meine Studenten aßen immer in der Mensa.«
»Keine Sorge.« Habicht lächelte wie ein großer Junge. »Ich werde nicht verhungern. Und wenn – ich weiß, daß Sie das nicht zulassen werden.«
Bertha lächelte zurück. Ihr Mißtrauen war dahingeschmolzen. Welches Geschäft der Doktor auch in Hamburg zu erledigen hatte – er war ein Mieter, mit dem man auskommen konnte. Ein seriöser, gepflegter, gebildeter Mann im besten Alter. Ein Witwer. »Ich könnte ab und zu für Sie kochen«, sagte sie. »Wenn Ihnen das fünf Mark wert ist … Ich will ja nichts daran verdienen. Ich koche gern. Hausmannskost natürlich.«
»Die liebe ich besonders, Frau Hellenkamp. So eine richtige Erbsensuppe mit durchwachsenem Speck … dafür lasse ich jedes Steak stehen.«
»Und Labskaus?«
»Ich esse alles, was auf den Tisch kommt.«
Bertha strahlte, auch wenn es noch immer rätselhaft blieb, daß ein Doktor sich gerade in St. Pauli in der Roosenstraße, inmitten von Puffs und Stundenhotels niederlassen wollte. Da gab es noch Fragen … Aber die zu stellen, hatte man ja Zeit genug.
»Wann ziehen Sie ein, Herr Doktor?« fragte Bertha Hellenkamp.
»In zwei Stunden. Ich hole nur noch mein Gepäck aus dem Hotel.«
»Haben Sie ein Auto?«
»In München. Ich bin nach Hamburg geflogen. Hier nehme ich ein Taxi.«
»Ich möchte auch mal fliegen. Ich bin noch nie geflogen.«
»Vielleicht machen wir zusammen mal einen Rundflug über Hamburg.«
Habicht verabschiedete sich und fuhr zu seinem Hotel.
Der nächste Schritt war getan. Ein Zimmer im Herzen von St. Pauli, mitten unter den ›Damen‹, die das Foto identifizieren konnten. Die sagen konnten: Ja, das ist sie. Wir kennen sie. Du kannst sie in dem oder dem Lokal treffen. Und dann würde er ihr gegenüberstehen und sagen:
»Du hast meinen Sohn Robert umgebracht und meine Frau Gerda … Nun rechnen wir miteinander ab!«
Ein Gedanke, bei dem sich Habichts Herz verkrampfte. Er sehnte diesen Augenblick herbei, wie ein verdorrtes Land sich nach Regen sehnt, aber er wußte nicht, zu welcher Handlungsweise er dann fähig sein würde.
Konnte er wirklich einen Menschen töten? Mit eigener Hand töten? Wie denn? Erschlagen? Erwürgen? Aufhängen?
Man müßte eine Waffe haben, dann wäre es leichter. Eine Pistole, das wäre am besten. Ein Fingerkrümmen, ein Schuß – es war die eleganteste Lösung.
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