Die Ecstasy-Affäre
einfach Spitze!«
Am Abend zog Habicht sich um und fragte auf der Straße einen Taxifahrer nach der Bar Taiga. Er brauchte nicht weit zu laufen, das Lokal lag mitten in dem Vergnügungsviertel. Varietés, Kabaretts, Sexfilmtheater, Bars, Showbühnen, Imbißstuben, Tanzcafés – es war eine ganz besondere Welt, die Habicht in dieser Zusammenballung noch nie gesehen hatte. Dagegen war das Nachtleben von München, das er nun monatelang durchstreift hatte, von provinzieller Bescheidenheit, geradezu unauffällig. Bisher kannte Habicht St. Pauli nur aus Fernsehfilmen und Illustriertenberichten, die ihn nie besonders interessiert hatten. Jetzt lebte er mittendrin und schlüpfte in ein Kostüm, das zu dieser turbulenten Szene paßte. Der Mann im mittleren Alter, der Verpaßtes nachholen wollte, der im Leben zu kurz gekommen war und nun kräftig auf die Pauke haute. Oder – wie man machomäßig sagte – endlich die Sau rausließ.
Vor dem Taiga stand ein livrierter Portier, der gleichzeitig der Aufreißer war. Als Habicht vor dem Fotokasten neben dem Eingang stehen blieb und die aufreizenden Bilder betrachtete, junge, halbnackte Mädchen in erotisch wirken sollenden Verrenkungen, kam der Mann sofort auf ihn zu.
»Na, junger Mann! Wollen Sie das Glück mit beiden Händen greifen? Kommen Sie herein, die russische Seele – und nicht nur die – wartet auf Sie! Zögern Sie nicht! Wir garantieren Ihnen einen unvergeßlichen Abend mit Tatjana und Ludmilla.«
»Ich möchte einen Herrn Rutkin sprechen«, sagte Habicht und schüttelte die Hand ab, mit der ihn der Portier am Ärmel gepackt hatte. Der Aufreißer ließ ihn sofort los.
»Was wollen Sie von ihm?« Seine Stimme klang jetzt fast drohend.
»Das geht dich einen Dreck an, mein Junge!« sagte Habicht grob. Diesen Ton hatte er in München geprobt, er stellte in solchen Kreisen schneller einen Kontakt her. Der Portier ging auch sofort auf den Ton ein. »Du kennst Rutkin?«
»In zehn Minuten spätestens bestimmt.«
»Sag doch gleich, daß du 'n maskierter Bulle bist!«
»Seh' ich so aus?«
»Bei uns ist alles sauber. Alle Mädels haben ordentliche Papiere, keine Schwarzmarktware.«
»Das interessiert mich nicht. Ich will Rutkin sprechen, mehr nicht. Von mir aus könnt ihr eure Mädels in Frischfleisch-Containern nach Deutschland schaffen.«
»Komm rein.«
Der Portier ging voraus in einen großen, halbdunklen Raum mit einer riesigen Bartheke an der Stirnwand. Die Wände waren mit rotem Samt bespannt. Habicht sah ein Gewirr von Tischen und Stühlen, am anderen Ende des Raumes eine Bühne und einige Türen in den Längswänden, die zu ›Betreuungszimmern‹ führen mußten. Auf der Bühne zeigte ein nacktes Paar gerade, wie man auch in einer Schaukel kopulieren kann. Die Darstellerin quietschte dabei wie eine rostige Türangel. Der Portier stieß Habicht grinsend in die Rippen.
»Das ist Marfa! Eine tolle Nummer! Die tritt nachher noch mal auf und läßt sich von drei Kerlen bumsen. Gleich drei auf einmal. Ein echter Star!«
»Ich will zu Rutkin.« Habicht gab seiner Stimme einen drohenden Klang. »Marfa kannste dir an den Sack hängen!«
Der Portier führte Habicht an der Bar vorbei zu einer Tür, die unter der roten Samtbespannung kaum zu erkennen war. »Warte hier«, sagte er knurrend. »Ich melde dich an. Wie heißt du?«
»Nishni Nowgorod …«
»Scheiße!« Der Portier verschwand hinter der Tür.
Habicht lehnte sich an das Ende der Theke und sah sich weiter um. Die Bar war gut besetzt bis auf einen Hocker. Meist waren es Männer in Habichts Alter, die Bier, Cocktails oder ein Glas Sekt tranken und sich nicht um die Schaukelnummer auf der Bühne kümmerten. Die Kellnerinnen trugen russische Kostüme, hochgeschlossen und züchtig. Nur wer sie von hinten sah, bekam einen Vorgeschmack von dem, was die Mädchen auch noch servieren konnten: Die Kosakenhosen waren kreisrund ausgeschnitten und zeigten die blanken runden, einladenden Hintern. Ab dreihundert Mark plus Getränke konnte man sich in den Nebenräumen näher damit beschäftigen.
Hinter der Bar bedienten sieben Mädchen die Gäste. Sie zeigten keine Blößen, ihr Kostüm war korrekt. Das hieß: Hände weg! Hier gibt es nur Getränke oder Gespräche, denn nirgendwo wird mehr vom Leben erzählt als an einer Bar. Da sprudelt aus einem Mann alles heraus, was er in Wochen oder Monaten an Frust geschluckt hat. Einer Bardame wird oft mehr gebeichtet als einem Priester, und ihre Absolution ist ein verstehendes
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