Die Ecstasy-Affäre
nach hinten straff gezogen und würgte die Luft ab, wenn es ein menschlicher Kopf gewesen wäre.
Son zog den Draht zurück und war mit sich unzufrieden.
Zu langsam. Viel zu langsam. Da blieb noch Zeit für einen Schrei, für ein Aufbäumen, sogar für Gegenwehr. In der Schnelligkeit lag auch die Lautlosigkeit. Es durfte kein Zucken geben, selbst die Sekunde des Erschreckens mußte durchschnitten werden.
Son trat von dem Kopf zurück und blickte zu dem zweiten Schädel hinüber. Der dicke, gedrungene Hals – er war die schwerste Aufgabe. Hier kam es darauf an, den kurzen Zwischenraum zwischen Kinn und Kehle zu treffen und den Kehlkopfknorpel mit einem straffen Zug einzudrücken. Man muß üben, Son, dachte er und drehte die Stahlschlinge zwischen seinen Fingern. Üben, üben. Der schnelle, lautlose Tod ist eine Kunst, und ein Künstler, der nicht übt, fällt in das Mittelmaß zurück. Hua Dinh Son, du kannst dir keinen Fehlgriff leisten.
Auch bei dem zweiten Kopf war er zu langsam. Die Stahlschlinge blieb am Kinn hängen. Das wäre am lebenden Opfer eine Katastrophe gewesen. Son fluchte, schlug das Stahlseil gegen die dicke Steinmauer, griff dann nach einem ganz dünnen Draht und stürzte sich auf den dritten Kopf.
Schon besser. Aber das war auch der dünnste Hals, und solch ein Hals ist selten. Es ist ein asiatischer Hals, aber kein europäischer, kein polnischer oder deutscher Hals.
Zwei Stunden lang übte Son das Erwürgen mit der Stahlschlinge. Er übte es am zweiten Kopf mit dem gedrungenen Hals. Gelang ihm hier das sekundenschnelle, lautlose Töten, gab es später keine Schwierigkeiten mehr.
Am Montag mußte er nach München. Das hieß, er konnte noch bis Sonntag trainieren.
Noch drei Tage.
Son starrte auf den Kopf und spannte den Stahldraht in seinen Händen.
Es waren blaue Augen, die ihn ansahen. Und plötzlich haßte Son sie … Der nächste Wurf war perfekt. Die Schlinge lag genau auf dem Kehlkopf.
Die drei Herren aus Polen erschienen nicht zur vereinbarten Zeit im Toscana. Franz von Gleichem wartete eine Stunde lang, ehe er im Hotel anrief. Dort sagte man ihm, die Herren hätten das Hotel vor etwa einer Stunde verlassen, mit einem Taxi. Nein, sie hätten keine Nachricht hinterlassen.
Von Gleichem wartete weiter. Salvatore Brunelli hatte seine Pistole in den Hosenbund gesteckt, und auch Bolo war bewaffnet; er trug eine Minimaschinenpistole unter seinem langen Portiersmantel. Es war eine der kleinen, aber ungemein wirksamen Waffen, die die Mafia-Unterhändler oft in ihren Aktenkoffern mitschleppen – oder in Geschenkkartons, in denen man eine Pralinenschachtel vermutet. Von Gleichem war also für eine erregte Auseinandersetzung gerüstet, auch wenn er nicht glaubte, daß die Polen in aller Öffentlichkeit brutal werden würden.
Aber die Herren kamen nicht in die Bar.
Dafür erschien ein kleiner, elegant gekleideter Gast im Toscana, hockte sich an die Bar, bestellte einen Cocktail Montego Beach und blickte stumm vor sich hin. Ein unauffälliger Gast mit einem asiatischen Gesicht. Ulrike, die ihn bediente, fragte sich, ob er Japaner, Chinese, Vietnamese oder Koreaner war. Für einen Europäer sehen sie alle gleich aus, nur ein Asiat erkennt die Unterschiede.
Der Gast trank noch einen Cocktail, blickte dann auf seine Armbanduhr, eine mit Brillanten verzierte Luxusuhr, Schweizer Fabrikat, winkte Ulrike zu und sagte höflich:
»Ich möchte bitte Herrn von Gleichem sprechen.« Er sagte das in tadellosem Deutsch.
Ulrike sah ihn erstaunt an. »Ich weiß nicht, ob Herr von Gleichem im Haus ist«, antwortete sie.
»Er ist im Haus.«
»Dann wissen Sie mehr als ich.«
»Ich weiß immer mehr als andere.« Der Gast lächelte verhalten. »Bitte, melden Sie mich an.«
»Das kann ich nicht.«
»Sie können es.«
»Sie wissen eben doch nicht alles.« Ulrike verbarg ihren Ärger nicht. Wer so mit ihr sprach, wenn auch sehr höflich, stieß auf Granit. »Sie müssen sich an den Geschäftsführer, Herrn Brunelli, wenden, wenn Sie mit Herrn von Gleichem sprechen wollen.«
»Ist das der Italiener, der dort an der Säule lehnt? Ein unsympathischer Mensch. Ich spreche nicht mit Menschen, die ich nicht mag. In meiner Heimat sagt man: Blick in ein Gesicht, es ist wie ein aufgeschlagenes Buch.«
»Wo ist Ihre Heimat? In China?«
»Vietnam. Ein wunderschönes Land. Man muß es lieben. Es hat so viele schöne Frauen, schön wie Sie … aber anders. Ich heiße Lok. Meinen ganzen Namen zu nennen, wäre zu
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