Die Ecstasy-Affäre
Von Ulrike und Robert nahmen sie kaum Notiz. Sie waren es gewöhnt, selbst auch nicht wahrgenommen zu werden.
Zuerst hatte Robert gezögert, das Toscana zu betreten. Aber als Ulrike versprach, daß sie dort allein sein würden, hatte er seine Bedenken aufgegeben. Nun stand er mitten im Lokal, während Ulrike hinter einer Tür verschwunden war, die in den Keller führte. Dort gab es einen Raum hinter dem Faßlager und der Bierstation, der mit einer Stahltür gesichert war und in dem zwei Tresore standen, zu denen nur von Gleichem und Ulrike einen Schlüssel hatten und deren Schloßkombinationen sie kannten. In diesen Panzerschränken lagen, Karton auf Karton gestapelt, über hunderttausend Ecstasy-Pillen mit einem Schwarzmarktwert von zwei Millionen Mark und einem Verkaufswert von über vier Millionen Mark. Es war ein Restbestand; eine neue Lieferung war für die nächste Woche vorgesehen, wenn die Verhandlungen mit den Polen sinnvoll verlaufen würden. Daß sich das alles ändern würde, ahnte Ulrike zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Erst am Abend dieses Tages lieferte die Vietnam-Mafia den Beweis, daß nur sie als Geschäftspartner in Frage kam.
Als Ulrike mit einigen Kartons wieder im Lokal erschien, saß Robert auf einem Stuhl und hatte sich an der Bar ein Bier gezapft. »Was sollen wir hier?« fragte er ungehalten. »Du hast mir versprochen, mir etwas zu zeigen.« Es war gegen vier Uhr nachmittags. Zu seiner Mutter hatte Robert gesagt, daß er mit zwei Pfadfinderkameraden eine neue Trommel aussuchen müsse, eine sei bei der Englandreise kaputt gegangen.
»Liebst du mich?« fragte Ulrike als Antwort und stellte die Kartons auf einen Tisch.
»Aber das weißt du doch.«
»Wie liebst du mich?«
»Mein Leben ist wertlos ohne dich.«
»Vergiß das nicht.« Sie beugte sich zu ihm und küßte ihn flüchtig. »Du wirst mir helfen, die Pillen, die du so gern nimmst, zu verkaufen.«
Robert starrte sie an, als habe sie in einer fremden Sprache gesprochen. »Ich soll …«, sagte er dann stockend. »Ich soll …«
»Warst du nicht glücklich, wenn du diese Smiley genommen hast?«
»Wunderbar glücklich.«
»Und jetzt hilfst du mit, daß auch andere dieses Glück erleben können. Ist das etwas Schlechtes? Du bringst den anderen doch nur Freude. Du hilfst ihnen, fröhlich und stark und liebevoll zu sein. Und es sind viele, die bei uns das Glück kaufen können. Das ist doch nichts Verbotenes.«
»Aber … aber es sind unerlaubte Pillen.«
»Die du mit Begeisterung schluckst, ohne die du nicht mehr leben kannst. Bist du nicht ein anderer stärkerer Mensch geworden?«
»Das bin ich wirklich …«
»Um vier Uhr kommen die Verkäufer.« Ulrike schob Robert einen großen Karton zu und öffnete den Deckel. Sauber aufgereiht lagen hier zweitausend blaßviolette Pillen. In ihre Oberfläche war das fröhliche Comicgesicht von Barney geprägt, die Kultgestalt des Fernsehzeichentrickfilms ›Fred Feuerstein‹.
»Das hier sind die besten und teuersten. Das Stück für vierzig Mark. Du kannst an jeder Pille vier Mark verdienen.« Sie hatte den nächsten Karton geöffnet, in dem sich die Tabletten Smiley befanden. Robert blickte hinein und lehnte sich zurück. »Dann liegt hier ja ein kleines Vermögen«, sagte er betroffen.
»Es kommt darauf an, wieviel du verkaufst. Es liegt nur an dir. Die Händler, die gleich kommen, sind alte Kunden. Du kannst eine Menge verdienen, wenn du neue Kunden wirbst. Ich habe dir doch gesagt: Du kannst eines Tages, in kurzer Zeit, reich werden. Man wird dir das Geld in die Hände drücken. Du brauchst sie nur aufzuhalten.«
Er starrte sie an, als begreife er erst jetzt, was er alles gehört hatte. »Wie lange tust du das schon?« fragte er. Seine Stimme hatte einen heiseren Klang.
»Seit ein paar Wochen.« Als ahne sie, was er dachte, fügte sie schnell hinzu: »Es ist nichts Unrechtes, Bob! Wir machen die Menschen nur glücklich. Du spürst es doch am eigenen Leib. Und du liebst mich doch.«
»Was hat das damit zu tun?«
»Es verbindet uns für immer.«
Er nickte und blickte ihr nach, wie sie durch das Lokal ging und im Vorraum verschwand. Dann hörte Robert, wie sie die Haustür aufschloß und die draußen bereits Wartenden hineinließ. Es waren drei Jungen im Alter von Robert, in Jeans und T-Shirts mit bunten Aufdrucken. Sie schienen sich hier auszukennen, denn sie kamen direkt auf den Tisch zu, wo die Kartons standen.
»He!« sagte der eine, ein großer, schlaksiger Langhaartyp. »Neu
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