Die Ecstasy-Affäre
Eine andere Erklärung gibt es nicht. Er wollte die deutsche Polizei lächerlich machen. Seht an, ich kann machen, was ich will. Ich bin unangreifbar. Ein Satansspiel! Dieser Mörder muß das Morden geradezu lieben!«
»Fassen wir zusammen.« Wortke überblickte die Notizen. »Ein Fuhrunternehmer, ein Rechtsanwalt und ein Chemiker fliegen gemeinsam von Warschau nach München. Diese drei Berufe könnte man zusammenfügen. Der Chemiker stellt Drogen her, der Fuhrunternehmer sorgt für den Transport, und der Anwalt kümmert sich um unverdächtige, anerkannte Zollpapiere. Mit guten Verbindungen kann man so etwas sogar als Diplomatenumzugsgut deklarieren. Eine fabelhafte Dreieinigkeit. Aber da kommen sie einer asiatischen Mafia ins Gehege, und die schlägt zu. Sofort, eiskalt, wie gewohnt. Es geht um den Markt. Frage: Mit wem wollten die Polen in München verhandeln?«
»Mit einer anderen Gruppe der Drogen-Mafia.« Reiber hob die Schultern. »Wenn wir das wüßten, könnten wir die Akten schließen und um den Tisch tanzen.« Wortke sah ihm erstaunt zu, wie er auf einem Notizblock einige Strichmännchen malte, bei einigen die Konturen verstärkte, andere wieder durchstrich und sie dann mit Nummern versah.
»Willst du ein zweiter Mihó werden?« fragte Wortke.
»Ich bringe Ordnung in das Durcheinander.« Reiber tippte mit dem Bleistift auf seine Zeichnungen. »In Berlin töten Vietnamesen-Gangs ihre Gegner durch Genickschüsse. Die chinesischen Triaden variieren elegant: erschießen, erstechen, überfahren, aufhängen, aufschlitzen, köpfen …«
»Nur so ein Seelenkrüppel wie du kann das elegant nennen«, warf Wortke mit gespielter Erschütterung ein.
»Die Koreaner spielen keine Rolle – noch nicht. Die japanische Mafia hat Deutschland ebenfalls noch nicht entdeckt und operiert vor allem in den USA und im pazifischen Raum. Die Russen und Rumänen, Albaner und Polen beenden ihre Streitigkeiten im klassischen Sinne: Sie schießen. Von der italienischen Mafia brauchen wir gar nicht zu reden, deren Methoden sind bekannt und für die internationale Kriminalität beispielhaft.«
»Ausdrücke hast du!« sagte Wortke vorwurfsvoll.
»Aber nun taucht eine neue, bisher nur vereinzelt praktizierte Tötungsart auf: die Drahtschlinge, eine fernöstliche Spezialität. Logisch gedacht: Es bleiben als Täterkreis nur zwei Gruppen übrig, die chinesischen Triaden und die Vietnam-Mafia. Ich bin der Ansicht, daß wir die Chinesen in diesem Fall ausschließen können. Hätten sie Interesse an diesem Markt, würden sie längst zugeschlagen haben. Was ist also logisch, Herr Kriminalrat?«
»Es handelt sich um eine neue vietnamesische Gruppe. Und das ausgerechnet in München.«
»Irgendwo müssen sie ja mal anfangen.« Reiber verfiel wieder in Sarkasmus. »Nehmen wir an, meine Theorie stimmt: Wo ist dann die Gegenseite?«
»Ringelringelreihe, wir drehen uns im Kreise.« Wortke legte seine breite Hand über Reibers Strichmännchen. »Ich bleibe bei meinem außerhalb der Legalität stehenden Vorschlag: Wir brauchen Informanten aus der Jugendszene. Jugendliche Ermittler, Strafbefreiung für beteiligte Zeugen. Das erzeugt zwar bei unseren Politikern eine humanitäre Gänsehaut, aber anders dringen wir nicht in die Zirkel ein. Verdeckte Ermittler kriechen sonst überall unter, aber bei den Usern haben sie keine Chancen. Das ist eine besondere Welt, in die sie nicht eindringen können, weil sie – wie du schon sagtest – einfach zu alt sind. Sie sind Opas für die Jungen.«
»Stop!« Reiber wedelte mit der Hand durch die Luft. »Du nimmst an, daß hier die Ecstasy-Welle hochspült.«
»Das tote Mädchen am Abstellbahnhof …«
»Das sind zwei verschiedene Schuhe, Theo.«
»Für mich nicht.«
»Die Dreierseilschaft der Polen kann auch mit Heroin zu tun haben. Oder Kokain. Oder auch nur mit Schmuggel von gestohlenen Autos und Zigaretten.«
»Autos interessieren die Vietnamesen nicht.«
»Richtig.«
»Und Zigaretten … Das ist eine Berliner Spezialität.«
»Nicht ausschließlich.«
»In München hat der Zigarettenschmuggel nie eine große Rolle gespielt. Das weißt du besser als ich. Die löcherigen Grenzen liegen im Osten und im Westen. Amsterdam ist ein reger Umschlagplatz. Bei uns kann es sich nur um Ecstasy handeln. Ich habe mich da hineingekniet: Allein in Österreich gibt es, nach Schätzungen der dortigen Sicherheitsbüros, über 70.000 Konsumenten der Teufelspillen. Und es werden täglich mehr. Es ist wie eine Lawine,
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