Die Ecstasy-Affäre
die alles überrollt. Es liegen Expertenzahlen vor: In Wien sollen an jedem Wochenende bis zu zehntausend Ecstasy-Bonbons verkauft werden. Und an was grenzt Bayern? Na? An Österreich.«
»Ich habe die Zahlen ebenfalls.« Reiber fühlte sich von Wortke angegriffen. »Mein Gott, das wissen wir doch alles! Das habe ich sogar in einer Dokumentation zum internen Gebrauch zusammengestellt. Aber Beweise, Theo, Beweise – nur die zählen! Wir tappen doch im dunkeln, gib es zu. Wer weiß denn besser als ich, daß in München bei Razzien in den Techno-Diskotheken immer mehr Ecstasy-Tabletten beschlagnahmt werden! Und jetzt haben wir sogar die erste Tote, Lisa Brunnmeier. Aber nirgendwo ein Hinweis, daß eine Vietnam-Gang das Geschäft kontrolliert! So logisch das alles ist, wir pinkeln uns auf die eigenen Schuhe.«
In diese Gedanken hinein platzte Wortkes Stimme: »Irgendwoher müssen die Satanspillen doch kommen!«
»Vor allem aus Polen.«
»Aha!«
»Aber auch aus einheimischen Labors. Jeder halbwegs begabte Chemiestudent kann Ecstasy herstellen, Heroin und Kokain aber nicht.« Reiber griff nach seinem Schmierzettel mit den Strichmännchen, zerknüllte ihn und warf ihn in den Papierkorb. »Ich halte am Freitag einen Vortrag über Ecstasy, in Zusammenarbeit mit dem LKA und der Sonderkommission ›E‹ … Das ist die Abkürzung der Kids für die Pille. Ein Drogen- und ein Medizinexperte werden ihre Untersuchungen vorlegen. Die Veranstaltung für einen ausgewählten Kreis findet im Sitzungssaal des Landeskriminalamtes statt. Kommst du auch?«
»Was für eine Frage!« Wortke spielte den Beleidigten. »Ein Morddezernat sammelt nicht nur Leichen ein.«
Der Überblick über die gesammelten Erkenntnisse blieb mager, zeigte aber auch viel Interessantes. Die Verhöre in Lisa Brunnmeiers Umfeld endeten zwar mit Achselzucken, verdichteten sich jedoch zu einem Bild, das gar nicht zu dem paßte, das sich die Eltern bisher von ihrer braven Tochter gemacht hatten.
Ein Doppelleben wurde Stück für Stück aufgedeckt.
Die fleißige Friseurin, das beliebte Mädchen von nebenan, die fröhliche Siebzehnjährige ohne Fehl und Tadel – und auf der anderen Seite die Userin, das ekstatische Partygirl, die Techno-Süchtige, die Ecstasy-Schluckerin, die allzeit Bereite für einen erstaunlichen Mehrfachverkehr. Allein sieben Jungen gabelte Wortke auf, die mit Lisa geschlafen hatten – in den vergangenen drei Wochen!
Wie paßte das zusammen? Wie konnten Tag und Nacht so unterschiedlich sein?
Für die Eltern Brunnmeier war es ein gewaltiger Schock. Während Mutter Elfriede nur noch weinte, tobte Josef, der biedere Installateurmeister, herum.
»Ich habe eine Hure großgezogen!« brüllte er und attackierte vor allem seine Frau rücksichtslos und ungerecht. »Ist das meine Schuld? Nein! Nein! Es ist deine Schuld! Gib dem Kind mehr Freiheit … Laß sie doch tanzen gehen … Was ist denn schon dabei, wenn sie sich mit Freunden trifft … Gönn ihr doch das harmlose Vergnügen … Harmlos! Ha! Schluckt Drogen und macht überall die Beine breit! Meine Tochter! Diese Schande! Ich kann die Firma aufgeben, das Haus verkaufen, wir können auswandern. Wer bestellt bei mir denn noch ein Badezimmer oder Wasserleitungen? Höchstens noch verstopfte Klobecken, die darf ich reinigen. Wer eine solche Scheißtochter hat, kann auch nur noch Scheißhäuser reparieren!«
Sein Zorn ging soweit, daß er vier Jungen, die mit Lisa verkehrt hatten, auflauerte und sie so verprügelte, daß ihm Anzeigen wegen Körperverletzung ins Haus flatterten. Aber so sehr Josef Brunnmeier sich auch auf seine Art bemühte, mehr Licht in den Hintergrund von Lisas Doppelleben zu bringen – wie die Kriminalpolizei stieß auch er auf eine Gummiwand des Schweigens. Alle Fragen, alle Nachforschungen federten zurück. Keiner wußte etwas Genaues. Ecstasy? Bei uns in der Disco? Nee! Nie gehört … Das heißt, gehört ja, aber nie in der Hand gehabt. Wie sehen denn die Dinger aus? Wie saure Drops?
Lisas Liebhaber waren, wie konnte es anders sein, besonders ahnungslos. Nun ja, Lisa war eine wilde Hummel gewesen, aber drogensüchtig? Nie bemerkt. Natürlich war sie oft high, aber nicht von Ecstasy, sondern immer dann, wenn sie einem Jungen, der ihr gefiel, den Reißverschluß an der Hose herunterzog. Sie war eben eine geile Muschi … Ist das verboten?
Wortke hörte sich das alles geduldig an. Manchmal war er versucht, einigen der sturen oder sogar aufsässigen Kids in den Hintern zu
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