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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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immer so.«
    Das Beschreiben der altertümlichen Apparaturen und Verfahren hatte aus Krause einen anderen Menschen gemacht, ihn in eine Vergangenheit gerissen, die weit über die Spanne seines eigenen Lebens hinausreichte. Wir hörten von wandernden Photographen, Herren in Sonntagsanzügen, ständig über die Dörfer ziehend, von Hochzeit zu Hochzeit, Beerdigung zu Beerdigung, »mein Großvater war gleichzeitig Besitzer eines Wanderkinos, er fuhr an Sonntagen mit seinen Gerätschaften über Land, führte Kurzfilme vor und anschließend fotografierte er die Menschen. Hier.« Er wuchtete schwere Glasplatten aus den Schubladen, Negative, die aus weiß schwarz, aus schwarz weiß machten, nein, korrekter: Aus hell dunkel und aus dunkel hell, aus gut böse und umgekehrt, dachte ich und nickte wissend. Aus gut böse.
    Später kochte Krause Kaffee, den er in zierlichem Porzellan servierte, auch das etwas, das weder Oxana noch ich gewohnt waren. »Das ist mein Leben«, sagte er und blickte zu Oxana, die ihn anlächelte, so warm, dass wir die klamme Kälte im Zimmer vergaßen, in dem kein Ofen bollerte, wo Eisblumen auf dem Fensterglas blühten und der Nacht Einhalt geboten, die zu uns eindringen wollte, na ja, sie versuchten es wenigstens an diesem Abend über weißer Landschaft, aber es schneite nicht mehr.
    »Sie werden alle gehen, nur die Alten bleiben«, sagte Krause und der Zauber des Augenblicks wurde verscheucht wie eine lästige Fliege. »Ist das nicht der Lauf der Welt?« Oxana fragte es leise, als würde jeder laute Ton etwas zerstören. Krause seufzte auf, seine Schultern hoben sich, senkten sich. »Sie haben Recht. Nichts bleibt. Wenn Sie aus Kasachstan kommen, wissen Sie Bescheid. Man geht, weil man keine Zukunft mehr hat, man weiß nicht, ob man jemals eine haben wird. Wir waren naiv, unser Dorf an der Zeit vorbei durch die Zeit mogeln zu wollen, das kann nicht funktionieren. Aber es tut trotzdem weh, verstehen Sie?«
    Oxana begann über Kasachstan zu erzählen, über die Hoffnungslosigkeit und die Hoffnung. Krause verstand jedes Wort, er nickte sie ab wie eine Rechnung, die man niemals wird begleichen können. »Man lügt sich in die eigene Tasche, ja. Das wusste der Doktor auch. Wir haben lange drüber geredet, die Webers waren auch dabei.« »Die Webers?« Ich wurde hellwach. »Also nicht nur Sonja, sondern auch ihr Bruder, der doch damals schon in der Stadt wohnte?« »Ja«, antwortete Krause, »er wohnte damals schon in der Stadt, kam aber häufig nach Großmuschelbach. Das hatte wohl, ähm, private Gründe.«
    Eine Frau also. »Eine Frau«, bestätigte Krause. »Sylvia Koch, aber das ist eine elend traurige Geschichte. Georg und sie waren ineinander verliebt, wir wussten es alle, es war nicht recht, das wussten wir auch. Denn Sylvia war verheiratet.« »Erzählen Sie uns die Geschichte«, bat Oxana. Krause zögerte, ich schenkte ihm Kaffee nach, bot Zigaretten an, er nahm eine, lehnte sich zurück. »Wenn Sie möchten, gut. Aber es ist wirklich eine traurige Geschichte.«

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    »Die Hähnchenmastfarm am Eingang des Tales wird Ihnen nicht entgangen sein.« Es war eine rhetorische Feststellung. Ebenso gut hätte man einen Vene digreisenden fragen können, ob er irgendwo Wasser gesehen habe oder einen Besucher des Bundestages, ob ihm Spurenelemente menschlicher Intelligenz begegnet seien.
    Krause fuhr fort: »Die Farm gehörte über etliche Generationen der Familie Koch. Heute ist der Betrieb ja praktisch vollautomatisiert, aber früher war sie das ökonomische Rückgrat von Großmuschelbach, unser Silicon Valley, eigentlich Chicken Valley. Die Familie Koch aber gehörte nie wirklich zu uns. Irgendwann einmal zugewandert, weil Baugrund hier billig war und kein Mensch sich um Arbeitsbedingungen scherte, lebte sie zwischen ihrem Federvieh, sah auf uns herab, so wie die aus der Stadt auf die Kochs herabsahen. Man hielt sich die Nasen zu, wenn sie mit ihrem Geld in den Geschäften auftauchten, iiih, die stinken nach Hühnerkacke und solche Sprüche hinter vorgehaltener Hand. Und fürwahr: Sie stanken bestialisch nach Hühnerkacke. War auch nicht leicht für die, nein, muss man ehrlich sagen. Das waren Ausgestoßene wie wir, nur anders eben, sie konnten Menschen mit ihrem Geld zuscheißen, geholfen hat es ihnen wenig.«
    Wir waren hungrig geworden, alle drei, ein Magentrio knurrte wie bei einer Freejazz-Session. Doch in Großmuschelbach einen Pizzaservice zu erwarten, wäre so vermessen gewesen, wie ein

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