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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Oxana und küssten sie hingebungsvoll auf den Mund, was ich weniger freudig begrüßte. Ich kenne die fatalen Auswirkungen des Alkohols auf die sexuelle Ausrichtung des menschlichen Wesens, da werden Heten zu Lesben, Lesben zu Bisexuellen, Bisexuellen zu Asexuellen. Das hatte seinen Reiz, gewiss. Forderte jedoch auch meine spießbürgerliche Männlichkeit heraus. »War schön«, hauchte Hermine in Oxanas Ohr und ich tat so, als hörte ich es nicht.

157
    Der Himmel hatte sich pflichtgemäß verdunkelt, als wir in das enge Tal einfuhren, an dessen Ende die Großmuschelbacher Tristesse auf uns wartete. Oxana lenkte den Wagen ruhig, sie trug züchtige Kleidung, einen beigen Hosenanzug, eine braune Jacke, das war schnell gegangen mit dem Umziehen, ich hatte derweil im Wagen gewartet und die Sauerei aus zerfetzten Feuerwerkskörpern, leeren Schaumweinflaschen und Erbrochenem auf der Straße inspiziert. »Marxer schläft noch, ich hab ihm einen Zettel hingelegt, dass ich eine Freundin besuche.«
    Vorbei an der Hühnerfarm, gut, dass die Fenster geschlossen waren und selbst die Klimaanlage sich die Nase zuhielt. Das Grau des Himmels wurde bedrohlicher, eine Schneeschwangerschaft stand kurz vor der Niederkunft, die Straßen waren nicht geräumt, Oxana drosselte die Geschwindigkeit. »Komische Atmosphäre hier«, erkannte sie, »wart erst mal ab, bis wir da sind«, warnte ich.
    Wie bei meinem ersten Besuch lag das Dorf wie ausgestorben vor uns. Nicht einmal Tiere waren zu hören, gar zu sehen, kein Hofhund kläffte, keine Katze schlich an Häuserwänden entlang, keine Maus biss einen Faden ab. Ich dirigierte Oxana zu dem altertümlichen Fotoladen, wir stiegen aus und fanden ihn verschlossen, was uns nicht überraschte. »Guck mal«, sagte meine Begleiterin und wies auf das Schaufenster. Ich guckte und staunte. Um das überdimensionierte, mit einem Trauerflor geschmückte Porträt des verblichenen Dr. Habicht gruppierten sich kleinere Bilder, die den Toten in verschiedenen Stadien seines Lebens zeigten. Dr. Habicht als Heranwachsender mit erstem Bartflaum, Dr. Habicht im schicken Bundeswehrdress, Dr. Habicht, der junge Medizinstudent, vor der malerischen Kulisse des gynäkologischen Instituts, Dr. Habicht im Kreise seiner Familie, seiner Freunde, der Honoratioren, Dr. Habicht, im Haar Spuren erster Ergrauung, auf einem Hügel stehend und in die Landschaft bli ckend. »Die müssen ihn hier sehr verehren«, stellte ich beklommen fest und suchte den Klingelknopf.
    Fand ihn, klingelte, wir warteten, wir warteten vergebens. Blickten uns um, auf die Fenster mit ihren schweren, vergilbten Gardinen, die sich nicht bewegten. Es war, als lebe hier kein Mensch, habe nie einer gelebt. Eine Geisterstadt in der Todeszone inkontinenter Atomreaktoren, Goldgräberkaff nach dem Ende des großen metallenen Rausches, die FDP, als das letzte Parteimitglied sein Parteibuch zurückschickt, Porto zahlt Empfänger, Portugal, Griechenland und Irland, als alle sich kaputtgespart haben, der Sozialstaat nach der xten Reform, wer noch lebt, lebt hinter dicken Mauern und unter Personenschutz, der Rest ist wie ein lästiger Kostenfaktor von der Rechnung der Zivilisation getilgt. »Gruselig«, stellte Oxana fest.
    Wir bummelten durch die Straßen, wenigstens ein Geräusch erhofften wir uns, doch Großmuschelbach tat uns den Gefallen nicht, was wir hörten, waren unsere Schritte, war unser Atmen. In der Distanz drohte der Berg mit seinen Höhlen und Gängen, über ihm drohte finsterer Wolkenbrodel, erste Schneeflocken fielen und mehrten das Leichentuch auf dem Dorf.
    Es ging bergan. »Wenn die irgendwo sind, dann wohl in ihrem Bergwerk«, mutmaßte ich, Oxana nickte, wenig überzeugt. Am Eingang angekommen, schienen sich ihre Zweifel zu bestätigen, das dicke Eisentor war geschlossen, die Schneewand wurde dichter, unsere unbedeckten Häupter alterten im Zeitraffer unter dem nassen Weiß. Wir sollten umkehren, ja, das Ganze abhaken, ein Ausflug in die zerfallende Leiche einer Ansiedlung, niemand mehr hier, alle ausgewandert, wohin auch immer. Wir blieben stehen und wussten nicht, was zu tun war. »Gehen wir wieder«, schlug ich vor. »Nein«, sagte Oxana und trat an das Tor, zerrte an dem Riegel – und siehe, das Tor gab nach und öffnete sich.

158
    An den Wänden gingen Fackeln und verbreiteten unruhiges Zwielicht. Der Geruch von Teer, das ewige Tropfen der Feuchtigkeit, ein Murmeln, das wie ein atemloses Gebet durch die Räume hallte. Ich kannte den Weg,

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