Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
klaubte ich Reste von Essbarem zusammen, Eier und Speck und Tomaten, warf alles in eine Pfanne und servierte das Ganze auf trocken Brot als „bretonisches zweites Frühstück“, was Borsig als hochkulturelle Fußnote mit folkloristischem Touch erfreut zur Kenntnis nahm und reinhaute.
Anja haute nicht rein, noch nicht, sie wartete ab. Regitz stieg vor einer schäbigen Klitsche aus, der Wagen fuhr davon, Regitz betrat das Etablissement, Anja näherte sich vorsichtig und las das Firmenschild.“ Jean-Pierre Pacques & Cie. – Marchandises “ Einen Moment lang, vielleicht gar zwei, ist Anja unsicher. Sollte Regitz tatsächlich hier sein um zu arbeiten? Aber woran und warum und weshalb ausgerechnet hier? Da kommt ein zweites Auto, Anja tut so, als sei sie eine vorbeischlendernde Passantin, dreht sich verstohlen um und sieht – eine betörend schöne Frau aus dem Wagen steigen, unverkennbar Französin, das merkt man an der Gangart, dagegen sind deutsche Frauen schwerfällige Ackergäule, sorry, aber das ist wissenschaftlich erwiesen. Und sofort beginnt wieder die Eifersucht in Anjas Gemüt zu rumoren. Was geht hier vor?
Ich hätte es auch gerne gewusst. Borsig wischte sich genüsslich die letzten Reste Rührei vom Kinn, bemerkte beiläufig, ein Bier gehöre aber in der Bretagne ganz bestimmt auch zu diesem Festmahl, erhielt sein Bier – mein letztes -, zischte es sich rein und machte „aaaaah“. Ich machte „grrrrrrrr“ und Borsig erzählte weiter.
„Unsere Anja – ein nettes Mädchen übrigens – wartet also und wartet und wenn sie nicht gestorben ist, dann – ok, fahr die Faust wieder an, ich mach ja hinne. Sie wartet. Bis Mittag. Regitz erscheint nicht, die schöne Frau erscheint nicht, überhaupt niemand erscheint, geht weder in das Haus noch kommt aus dem Haus heraus. Das Mädchen friert, ist verzweifelt, hungrig – hast du vielleicht noch was Süßes zum Nachtisch? – ok, ich mein ja nur – und durstig, in seinem Kopf schwirren die absonderlichsten Gedanken umher. Sie will schon aufgeben, da tut sich etwas. Und was? Genau. Ein drittes Auto fährt vor.“
Ein drittes Auto, natürlich ein Peugeot. Aber niemand steigt aus. Dafür steigt nach fünf Minuten jemand ein, der dazu die Firma von Jean-Pierre Pacques hat verlassen müssen, unser Freund Regitz nämlich. Heiter und beschwingt, so will es Anja vorkommen, was FÜR ein Schäferstündchen mit der heißen Französin spricht. Er steigt in den Wagen, der Wagen fährt davon und Anja steht da wie bestellt und nicht abgeholt.
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„Arme Anja!“ Borsig produzierte ein Tränchen und schickte es bergab in den Hain der Bartstoppeln, wo es schließlich in einer unreiner Haut geschuldeten roten Pore versickerte. „Nun steht das Mädchen da und muss den ganzen Weg zurücklaufen, sie weint und ist verwirrt, Regitz nicht im Hotel, nicht im Café, nirgendwo. Was macht also das liebe enttäuschte Kind? Es haut sich in die nächstbeste Kneipe und füllt sich ordentlich ab, beginnt einen Flirtversuch mit einem 15jährigen Knaben – irgendwie neigt Anja nämlich zu Extremen, entweder ganz jung oder knochenalt – und schafft es – alleine! – in ihr Hotelzimmer, wo sie sanft einschläft.“
Hübsch gesagt, Borsig. Und weiter? Regitz kommt spät abends hinzu und knallt sich müde auf die Matratze, riecht Anjas Fahne und knurrt wahrscheinlich. Am Morgen beim Frühstück – Anja geht es elend – verkündet er dem Mädchen, es solle noch heute abreisen. „War ne schlechte Idee, dich mitzunehmen, Baby, das musst du verstehen.“ Anja macht eine Szene, ihre erste wohl, und Regitz gerät in Wut, scheuert ihr eine, bekommt eine zurückgescheuert, was die Fronten klärt. Es ist aus. Anja fährt mit dem Bummelzug von St. Malo nach Rennes, steigt dort in den TGV nach Paris, dessen Sehenswürdigkeiten sie nicht mehr interessieren, nimmt in Paris den ICE nach Deutschland und sitzt jetzt, wieder nüchtern, aber unglücklicher als zuvor, in ihrem Zimmerchen und grämt sich.
Traurige Geschichte. Die ich, ganz seelenloser Technokrat, auf ihre Informationshaltigkeit abklopfte,“ Jean-Pierre Pacques & Cie. – Marchandises “, eine Unbekannte im Internet, kein Webauftritt, kein Eintrag, und schon wollte ich die Googleseite schließen, als mein Blick auf die rechte Spalte fiel, wo man mich mit intelligenter und genau auf meine Suchanfrage zugeschnittener Werbung beglückte – sämtlich Osterartikel. Vier Meter hohe Skulpturen kopulierender Osterhasen aus
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