Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Alarmstufe. Etwas war schiefgegangen. Eine Stimme am anderen Ende, die nach einem Codewort fragte. Krieger-Sullivan überlegte kurz. Jetzt bloß keinen Fehler machen. „Operation Moneyshot“ sagte er dann. Warten. Er wurde weiterverbunden. Noch einmal durchatmen. Dann die Stimme. Sie ging dem Major durch und durch. ER! „Island tanzt, Mr. President.“
Barack Obama schickte ein „shit“ durch die Leitung. Warum tanzten die Brüder und Schwestern dort? Was das vorgesehen? Hatte die Tea Party wieder das Drehbuch kurzfristig umgeschrieben, ohne ihn zu informieren? Er überlegte, sagte dann: „Ok, sollen sie tanzen. Ist auch egal. Sonst noch etwas?“ Krieger-Sullivan atmete noch einmal durch. Er könnte jetzt „nein“ sagen und auflegen, kein Mensch würde ihm einen Vorwurf machen. War nicht seine Sache. Aber sie kamen wieder einmal nicht zu Potte, die Herren vom Generalstab, alles Zögerer, Sesselfurzer, Bürokratenhengste. „Nun ja....“, begann Krieger-Sullivan und schaute zu Rodriguez-Martinez, der andächtig lauschte. „Was nun ja?“ Obamas Stimme klang gereizt. Oh mein Gott, er hatte den Präsidenten verärgert. Aber da musste er durch. „Es geht um DAS PROBLEM.“ Stille am anderen Ende. Dann: „DAS PROBLEM? Wir haben ein Problem?“ Oh du meine heilige Fresse, sie haben ihm nicht einmal von DEM PROBLEM erzählt, durchfuhr es Krieger-Sullivan. Hätte er doch nur sein Maul gehalten. Zu spät. Er hockte in der Scheiße. „Moritz Klein“, flüsterte er stockend und erwartete die beiden Wörter plus Fragezeichen und einem heftigen Fluch zurück. Zu seiner Überraschung retournierte der Präsident den Namen nicht, schickte nur ein „fuck off“. „Ja“, wimmerte Krieger-Sullivan, „DAS PROBLEM halt. Es ist noch immer nicht gelöst. Der läuft mit seinen Leuten noch immer frei herum.“
Der Präsident lachte. War doch stets ein Spaß, mit irgendwelchen Subalternen zu plaudern, kleinen Lichtern, die von Tuten und Blasen keine Ahnung hatten. „Sie nennen diesen Moritz Klein ein Problem? Womit haben Sie eigentlich sonst noch Probleme? Mit dem Scheißen, mit dem Zähneputzen, ihrer Frau? Kümmern Sie sich um diese tanzenden Idioten, halten Sie mich auf dem Laufenden, vergessen Sie diesen Moritz Klein. He ain't worth a bloody fuck.“
Aufgelegt. „Tja“, sagte Krieger-Sullivan in Richtung Rodriguez-Martinez, „schönen Gruß vom Präsi und immer weiter so. Wo zum Teufel ist mein Stumpen geblieben?“
281
An diesem Vormittag stürzten die Aktienkurse ins Bodenlose. Schon seit dem frühen Morgen wälzte sich ein Strom schlechter Nachrichten über die Welt, begonnen hatte alles mit der Klage der USA gegen die Kreissparkasse Unterweidingen, 34 Milliarden Dollar Schadenersatz wegen vorsätzlicher Täuschung einer amerikanischen Investmentbank, was, da die Sparkasse selbstverständlich systemtragend war, zu einer hektischen Rettungsaktion geführt hatte, an die sich die deutschen Steuerzahler noch in hundert Jahren schmerzlich erinnern sollten.
Ich saß vor dem Fernseher und grinste das Grinsen des rettungslos Verlorenen, des Hilf- und Ahnungslosen, ein ungepflegter Mann in Jogginghose und verwaschenem Pulli. Auch als der griechische Ministerpräsident vor die Kameras trat und verkündete, im Grundgesetz seines Landes werde ab sofort das Recht jedes Griechen auf ausschweifende Zechgelage und Sexpartys verbrieft, saß ich unbeweglich vor dem Kasten, wartete auf die nächste schlechte Nachricht, die auch nicht lange auf sich warten ließ. Josef Ackermann hatte sein gesamtes Kapitalvermögen verflüssigt und eine Rinderfarm in Argentinien sowie alle Immobilien der Stadt Lüdenscheid dafür erworben. Und auf Island tanzte man. Das war zwar eine noch unbestätigte Nachricht, von den Regierungen der Welt heftigst dementiert, doch jedes Gerücht war in diesen Tagen mehr wert als jedes Regierungsstatement. Eine undichte Stelle irgendwo, es gab nur noch undichte Stellen.
Die Figuren auf dem Bildschirm zogen an mir vorbei wie die schwankenden Gestalten eines absonderlichen Panoptikums. Wirtschaftsweise, die sich coram publico zu Wirtschaftsidioten erklärten und versprachen, sich auf ihre schlossähnlichen Anwesen mit Seeblick zurückzuziehen, um fortan die Schnauzen nur noch zum Völlen und Ablecken blutjunger Gespielinnen zu öffnen. Dann – ich war noch immer unfähig, mich zu bewegen – traten Kanzlerin und Wirtschaftsminister in altbekannter Krisenbewältigungsmanier vor die Kameras, sprachen
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