Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
heimwärts, um das nächste Abenteuer seelisch vorzubereiten.
Es ging mir nicht schlecht. In meinem Geldbeutel schlummerte der Gegenwert von fünfzehn heißen Vereinigungen mit Hermine beziehungsweise, unter dem Aspekt des Jugendschutzes betrachtet, der endgültigen Überantwortung von Jonas an den Spielteufel. Ich rief Hermine sogleich an, sie meldete sich mit einem erotischen „Ja?“, und im Hintergrund krächzte Jonas „Telefonsex kostet 10 Euro!“. Einige Minuten lang sagten wir uns schmutzige Dinge, so mochten von Zeit zu Zeit auch die Bundeskanzlerin und Jean-Claude Juncker über Eurobonds parlieren, nur ging es bei uns um essentiellere Angelegenheiten als die Zukunft des Euro. Aber freuen wir uns auf die entsprechenden Wikileaks-Veröffentlichungen.
„Hast du Karl May gelesen?“ fragte Hermine und fuhr, ohne die Antwort abzuwarten, fort: „Das Buch da, wo die Männer ihre Stangen immer in den tödlichen Sumpf stecken müssen, damit man sich nicht verirrt und in den Vertiefungen verschwindet.“
„Ja“, antwortete ich, „Karl May war schon eine Quadratsau. Nichts wie feuchte Niederungen und Stangen jeder Art, darüber hat mal ein Typ ein dickes Buch geschrieben, über die erotischen Landschaftsbeschreibungen bei Karl May und so.“ Das hatte Hermine noch nicht gewusst, ich versprach ihr, das Buch unter den Christbaum zu legen.
Wir unterhielten uns zudem über die Möglichkeit, deutsche Soldaten mitsamt ihren Ehefrauen und Freundinnen an den Hindukusch zu schicken, wo doch der Verteidigungsminister auch nicht ohne seine Angetraute mehr außer Haus schlafen durfte. „Hat es übrigens früher schon mal gegeben“, belehrte ich Hermine, „im Dreißigjährigen Krieg und so, da sind die Familien mit ihren Soldatenmännern aufs Schlachtfeld gezogen und haben nach getaner Arbeit die Leichenteile weggeräumt.“ Bei „Leichenteile“ assoziierte Hermine sogleich eine größere Sauerei, was ich in Anbetracht der Vorweihnachtszeit unpassend fand, aber nicht sagte.
Als Jonas lauthals auf fünfzehn Euro erhöhte und damit drohte, widrigenfalls das Jugendamt einzuschalten, machten wir Schluss. Es war an der Zeit, ins Industriegebiet zu fahren, um Regitz und Borsig bei einer Arbeit zu helfen, von der ich mir keine Vorstellung machen konnte. Mir war am Morgen nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Wir hatten hart gearbeitet, sauber und schnell, uns gewohnheitsmäßig prostituiert, ohne Widerworte und Zwischenfälle. Ich war gewillt, mich überraschen zu lassen.
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Wieder fuhr ich mit der S-Bahn hinaus ins Industriegebiet. Allerhand Volk, wie es schon in der Bibel heißt, fläzte sich auf den schäbigen Sitzgelegenheiten oder baumelte als Fleischerhaken an den Haltegriffen, ehrlich ermüdete Bewohner der Vororte und Nachtschichtler, denen der wenige Schlaf des helllichten Tages monotone Dramen in die Gesichter geschrieben hatte.
Hinter mir babbelte es zungenflink, zwei Mädchen, die sich als Arzthelferinnen-Azubis outeten und Blutwerte diskutierten, dann nahtlos zu den Abenteuern des verflossenen Wochenendes übergingen, irgend welchen Kevins und Marks, denen die Colts zu locker gesessen hatten. Ich spürte den Tag in sämtlichen Knochen, harte körperliche Arbeit war nicht mein Ding, geistige allerdings noch weniger. Es müsste Berufe geben, die für das durchschnittliche mitteleuropäische Gehirn genauso locker zu verkraften sind wie für den durchschnittlichen mitteleuropäischen Körper. Und es gab sie tatsächlich. Sie hießen „Sachbearbeiter“, und es musste ein Traum sein, den ganzen Tag Sachen zu bearbeiten, die auch funktionierten, wenn man sie nicht bearbeitete. Leider verfügte ich nicht über die notwendigen Beziehungen und so konnte ich nur neidisch nicken, wenn mir jemand erzählte, er sei Sachbearbeiter, irgendwelche Sachen halt, so genau lasse sich das nun nicht erklären.
Die Lagerhalle von Gebhardt und Lonig lag einsam und verlassen in beruhigender Dunkelheit. Ich tat so, als ginge ich vorbei, sah mich vorsichtig nach allen Seiten um, sprang dann mit zwei Sätzen(die ich leise vor mich hin murmelte) zu einem Nebeneingang, durch den man die Büros erreichen musste, zog den in Webers Wohnung gefundenen Schlüsselbund hervor und probierte den fünften, bislang noch nicht identifizierten Schlüssel. Er passte wie erwartet. Ich steckte den Bund wieder ein, dies hier konnte warten. Es war kurz vor 21 Uhr, ich lief hin und her und rauchte eine Zigarette.
Das Auto näherte sich langsam
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