Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
mit abgeblendeten Scheinwerfern. Ein kleiner Transporter, so nennt man die Dinger wohl, und hinter der Scheibe grinste mir Borsigs Visage entgegen, während Regitz auf dem Beifahrersitz saß und in einem Buch las, wahrscheinlich dem neu erworbenen Marihuana-Thriller von Peter J. Kraus mit dem wunderbaren Titel „Joint Adventure“. Dann ging alles sehr schnell.
Der Wagen wurde bis vor das Tor der Lagerhalle gefahren, Regitz und Borsig sprangen heraus. „Hallo, mein Sohn, du bist pünktlich, das lobe ich. Wir gehen jetzt da rein“ – er wies auf das Tor – „und holen uns den uns zustehenden Tariflohn für unsere Arbeit heute Morgen.“ „Ach“, lächelte ich unvorsichtigerweise, „und wie kommen wir rein?“ Borsig gab ein gurgelndes Geräusch von sich, Regitz indes lächelte mit der arroganten Überlegenheit eines Unfehlbaren, griff in seine Jackentasche und ließ dort viele Schlüssel klimpern.
„Keine Firma hier auf dem Gelände, die ich nicht öffnen könnte. Ich erkenne die Schlüssel schon an der Form, warte mal.“ Er spielte ein wenig in seiner Tasche und zog dann einen Schlüssel hervor, den er in das Torschloss steckte. Er ließ sich ohne Mühen drehen, das Tor öffnete sich.
„Und nun fix, Jungchen. Mach schon mal die Autoklappe auf, Borsig, der Kollege und ich bringen gleich die Naturalien.“
Borsig tat wie geheißen, Regitz, der eine große Taschenlampe aus dem Nichts hervorgezaubert hatte, stieß mich an und so betraten wir das Lager. „Da hinten“, sagte der große Führer, „hübsch verborgen die beiden Kisten mit den Osterhasen. Spuck in die Hände und dann los.“
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„Der Proletarier sticht wie eine Biene und saugt dann den süßen Nektar des Mehrwerts aus der offenen Wunde des Kapitalismus.“ Regitz flüsterte es augenzwinkernd und zog mich, immer dem Strahl der Taschenlampe nach, tiefer in die Lagerhalle. „Marx?“ fragte ich, „nö“, antwortete der Alte, „original Regitz. Für so was war Marx einfach nicht clever genug.“
In einer vergessenen Ecke des Lagers blieben wir stehen. Regitz leuchtete eine Erhebung unter einer grauen Plastikplane an, zog diese mit einem Ruck weg, als enthülle er das Denkmal des diebischen Arbeitnehmers. Zum Vorschein kamen zwei mir wohlbekannte Kisten.
„120 Osterhasen“, schloss ich messerscharf und Regitz nickte die Rechnung zufrieden ab. „Dafür krieg ich 240 Affen von meinem äh.... Geschäftspartner. Zähl die 60 von dem Typen, der seine Chefin poppt, dazu, dann macht das 300. Wir haben heute Morgen zusammen zwölf Stunden gearbeitet und jetzt noch mal geschätzte drei. Macht 15. 300 geteilt durch 15 sind 20, was ich einen adäquaten Stundenlohn für saubere und ehrliche Arbeit nenne. Oder bist du anderer Meinung?“
Ich war es natürlich nicht. Die Argumentationskette Regitzens überzeugte mich sofort. Wir griffen die erste Kiste und trugen sie nach draußen zum Wagen, hievten sie hinein, wiederholten es mit der zweiten Kiste und sagten nach erfolgreicher Arbeit ein synchrones „Puh“. Regitz schloss die Tür der Lagerhalle ab und tätschelte hernach meine Wange. „Gutes Jungchen. Schön, mit dir zu arbeiten. Hast du eigentlich heute Morgen irgendetwas mitgekriegt?“
„Nein“, sagte ich die Wahrheit und schämte mich. Für einen Detektiv war ich höchst unaufmerksam gewesen, aber Regitz wusste nicht, dass ich Detektiv war und das sollte auch so bleiben. „Nun, Jungchen“, explizierte Regitz und zog die Nase hoch, „der gute alte Borsig hat die beiden Kisten gleich auf seiner Aufwärmrunde verschwinden lassen. Er mag nur eine Hirnzelle besitzen, aber mit der arbeitet er höchst effektiv, wenn es um den Job geht. Sofort erfassen, wo ein verschwiegenes Eckchen ist, die Kisten aufladen, hinfahren, abladen, dann das Ganze zudecken. Planen liegen hier ja überall rum. Derweil der Mann, der seine Chefin moppelt, damit beschäftigt ist, sich darauf zu konzentrieren, uns im Auge zu behalten. Darf er. Wir sind nämlich schon fertig.“
Borsigs hatte inzwischen eine der Kiste zwecks Kontrolle geöffnet, einen Osterhasen entpackt und war gerade dabei, ihn aufzuziehen. Das ekstatische Wackeln der Ohren schien es ihm angetan zu haben „Lass das“, schnauzte Regitz, nahm ihm das Spielzeug aus den Händen und legte es väterlich in die meinigen. „Hier, mein Sohn, schenk den deiner Freundin, dann lässt sie dich an Heiligabend auch noch mal extra ran.“ „Danke“, sagte ich und nahm mir vor, den Hasen als ein
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