Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
aber die eine Zelle in seinem Hirn total überfordert. „Das Haus muss etwas abseits liegen. Jägerzaun. Finden wir schon. Erst mal ganz locker bisschen umschauen.“ Jetzt bewegte er seinen Hintern auch. Eine Gruppe Jungvolk tänzelte ihnen entgegen, auch ihre Allerwertesten waren in Aktion. Voll zugedröhnt, die Teenies, gut so. Die würden sich an nichts mehr erinnern.
Diesmal also nicht nur die Leute erschrecken, hatte der Boss gesagt. Diesmal professionell exekutieren. Tja, man hatte sich den Job selber ausgesucht. Erschrecken machte mehr Spaß, sie standen beide nicht so auf Töten, war aber leider in ihrer Arbeitsplatzbeschreibung mit drin gewesen. Und glaube doch keiner, in Deutschland liefe etwas ohne Zeugnisse und Befähigungsnachweise! Sie hatten früher eine Zeitlang als Söldner gearbeitet, Kongo und so, einsame Inseln in der Südsee, da lernte man das Töten von der Pieke auf. Waffenkunde, Umgang mit Giften und Sprengstoffen, das volle Programm. Diesmal würden sie lautlos morden, Springmesser. Und dann die Leiche diskret beseitigen, auf Nimmerwiedersehen, irgendwo im Meer versenken. Gar nicht so einfach. Weitere Komplikation: Eine Frau war bei diesem Kriesling-Schönefärb. Nach Möglichkeit sollte sie nichts von der Aktion mitbekommen. Kriesling-Schönefärb am Morgen einfach verschwunden, in Luft aufgelöst, Zigaretten holen. Wie die sich das vorstellten, diese trockenen Theoretiker und Bürohengste! Aber erst mal finden, den Kerl. Natürlich keine Adresse. Nur vage Hinweise. Ortsrand, kleines gepflegtes Häuschen, Jägerzaun. Gab es hier massenweise.
„Vielleicht ist der ja mit seiner Alten im Bergwerk schwofen. Was meinst du?“ Bernie stöhnte auf. Jonnys Hirnzelle ging ihm von Tag zu Tag mehr auf den Geist. „Unwahrscheinlich“, sagte er. „Die wollen hier erst mal abtauchen. Is klar, oder?“ Jonny gab es zu. Hätte aber zu gerne ein bisschen geravt und anschließend gechillt. Wer weiß, vielleicht wäre auch sexmäßig was zu machen. Mord und Sex, das gehörte einfach zusammen. Jedenfalls hatte er das mal gelesen.
Konnte das da das Haus sein? Hm, hm. Jedenfalls unterschied es sich von den anderen, die sie bisher inspiziert hatten, dadurch, dass in einem Zimmer noch Licht brannte. Es war kurz nach drei Uhr morgens, da schliefen die Leutchen, wenn sie nicht im Bergwerk abhingen. Sonst stimmte alles. Abseits, propper, Jägerzaun. Man konnte locker drübersteigen. Sie taten es. Lautlos, professionell.
Mussten nicht einmal ganz ans Fenster, um den Typen am Schreibtisch zu erkennen. Bingo oder Heureka!, wie der Lateinschüler sagte. Kriesling-Schönefärb, gar kein Zweifel, da mussten sie nicht einmal das Foto betrachten, das man ihnen gegeben hatte. Und seine Alte? Nicht zu sehen. Pennte wohl im Nebenraum. Ideale Voraussetzungen. Frage jetzt: Wie unbemerkt reinkommen? Antwort: Durch die Haustür, selbstredend. Passendes Werkzeug hatten sie dabei.
Schuhe ausziehen, das hatten sie auf der Agentenschule gelernt. Sich vergewissern, dass die Springmesser parat waren, Außentasche Anorak. Blickkontakt, Nicken, die Aufgabenverteilung war klar. Man konnte über Jonny sagen, was man wollte, aber sein Handwerk verstand er, wenn es darauf ankam. Die Haustür öffnete sich beinahe freiwillig selbst. Knarrte auch kein bisschen. Gut gepflegt. So sollte es sein. Der Job würde keine Probleme bereiten.
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Als ich am Morgen in den Spiegel schaute, starrte mich ein Untoter an und sagte entsetzt: „Du siehst ja noch beschissener aus als ich!“ Dabei verzog er seine unrasierte Visage, die tiefen Falten um Mund und Nase zuckten nervös. Ich erwiderte ein zünftiges „Halt die Fresse!“ und wandte mich ab. Schon recht. Ich sah nicht nur fürchterlich aus, ich fühlte mich auch so. Der Untote war längst geflohen.
Kennt jemand die Geschichte von dem Mann, der eines Morgens aufwacht und feststellt, dass er ein Käfer geworden ist? Die Verkäuferin in der Bäckerei schien sie zu kennen, denn sie musterte mich, als sei ich ein ekliges Insekt. Kam mir jedenfalls so vor. Ein Insekt mit einer Vorliebe für bestäubte Plunderstückchen, eine Küchenschabe, die noch ein Exemplar der Lokalzeitung mitnimmt. Und dann, vorsichtig um sich blickend, zurück in die Sicherheit der Wohnung krabbelt. Gottlob war zu dieser frühen Stunde noch kein Kammerjäger unterwegs.
Vika schlief. Ich trank meine erste Tasse Kaffee, aß ein halbes trockenes Brötchen und vertiefte mich in unser örtliches Käseblatt.
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