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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Islandwetter. Nach dem siebten Schnaps stand Aasgeir auf, nickte Paulson zu und verließ den Schuppen. Schlug den Kragen seiner Felljacke hoch, trabte in Richtung Stadt.
    Island, Reykjavik, die Kneipe. Fünf Männer in einer Ecke blickten kurz auf, als ein sechster den Raum betrat. Es war Aasgeir Gudmundson. Er setzte sich zu seinen Freunden, zog das Handy aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Sagte „da“ und fiel für den Rest der langen Nacht in tiefes Schweigen.
     
     
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    Schrecklich hell war diese Nacht. Vollmond, der Schnee – da halfen meine dunklen Gedanken wenig. Ich bekam kein Auge zu, ich stand auf, schlich auf Zehenspitzen zum Wohnzimmer, wo Vika auf der bequemen Schlafcouch mit gleichmäßigen und tiefen Atemzügen durch ihre Träume schiffte, ich schlich zurück, rauchte am Fenster, sah in die Nacht, die keine war. Borsig hatte wieder angerufen, mich diesmal. Im Hintergrund war der Geräuschpegel der „Bauernschenke“ zu hören gewesen und eine heftige Wehmut hatte mich umgehend gepackt. Hermine. Oxana. Die Bildhauerinnen, die Wirtsschwestern, alle eben... Ich sehnte mich furchtbar nach einem normalen Dasein.
    „Also ich hab mal recherchiert“, sagte Borsig, „wegen dem Karl-Heinz, du weißt ja. Der heißt Karl-Heinz Pischke, hat tatsächlich nen Schrotthandel, aber wie man so sagt: unter anderem. Besitzt auch paar Second-Hand-Läden, der Typ macht aus dem Kohle, was andere nicht mehr brauchen. Übrigens ein Trauerkloß, wie er im Buche steht, hat mit Karneval nix am Hut, is halt ne Imagegeschichte, you know.“ I knew. „Seine Prinzessin heißt Bianca Söhnlein, Tochter von so einem Banker, also jetzt nicht Finanzhai, eher Volksbanken und Raiffeisenkassen. So, und jetzt kommt hier gleich mein Bier, Wurstsalat hab ich auch geordert. Ansonsten alles ruhig hier, keine Bullen zu sehen, aber kannst Gift drauf nehmen, die lungern hier noch rum. Soll ich wen von dir grüßen?“
    „Alle“, murmelte ich, den Tränen nah und legte auf. Den ganzen Schrott komplett hinwerfen, dachte ich düster, apropos Schrott: Was sollte ich jetzt mit diesen Informationen zum Karnevalsprinzen anfangen? Ich setzte mich unmotiviert an einen der Laptops, von denen in der Wohnung mindestens fünf herumstanden, googelte Karl-Heinz Pischke, sogar ein Bild von ihm fand ich, ein pausbäckiger, dauerschwitzender Enddreißiger mit schiefer Grinsefresse, Pische, der „Unternehmer des Jahres“, Pischke, wie er einen überdimensionierten Scheck über 500 Euro an „Brot in Not“ überreicht, Pischke auf seinem Schrottplatz vor einem Turm Autowracks, Pischke mit Narrenkappe und Prinzessin. Diese Bianca passte zu ihm, jedenfalls gewichtsmäßig.
    Der Gedanke, mich ins Zentrum des organisierten humoristischen Grauens begeben zu müssen, wirkte nicht gerade schlaffördernd. Wohl hatte ich zu dösen begonnen und war in die chaotische Zwischenwelt von Wach und Traum gerutscht, doch schreckte ich immer wieder auf, war hellwach, ging zum Fenster, sah hinaus auf die geschlossene Schneedecke und den feisten grinsenden Mond, lauschte auf Vikas Atemgeräusche, die in sanften Schnarchton übergegangen waren. Mein Handy klingelte.
    Kriesling-Schönefärb klang ebenfalls hellwach. „Können Sie auch nicht schlafen?“ Dumme Frage, die er zunächst mit „nein“, dann mit „ja“ beantwortete. „Ja, ich kann auch nicht schlafen. Sonja schläft tief und fest, wie ich höre, aber mir gelingts nicht. Ich sitze hier und lese und lese.“ Wir konnten uns die Hand reichen, Brüder im schweren Schicksal. Schlaflose Männer, die Frauen beim Schlafen zuhörten.
    Ich erzählte ihm vom Karnevalsprinzen, nein, der Name tauche in den Aufzeichnungen der Kanzlerin nicht auf, wäre ja auch zu schön gewesen. „Das ist nur eine weitere Figur, die wir nicht zuordnen können. Aber was mich beunruhigt – wir haben einen Maulwurf, einen Spion unter uns.“
    Damit sagte er mir nicht wirklich etwas überraschend Neues. Eigentlich hatten wir wohl gar zwei Verräter unter uns, einen für die Staatsmacht, einen für die Ganoven. „Oder einen Doppelagenten, der für beide arbeitet“, variierte Kriesling-Schönefärb. Ich gab auch diese Möglichkeit zu. „Wir müssten denen eine Falle stellen.“ Eine Falle? „Ich denke drüber nach, vielleicht fällt mir etwas ein. In solchen Sachen bin ich, glaub's jedenfalls, ziemlich gut.“ Ich glaubte es ihm auch. Besser als ich bestimmt, was aber die geringste der Künste ist.
     
     
    364
    Sie vermisste ihn.

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