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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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und ihre Lieblichkeit Prinzessin Bianca die Zweite, scheiß auf die Republik, es lebe die Monarchie! Wolle mer se roilasse?“ Ein vielhundertstimmiges „Jau!“ lieferte eindeutige Antwort und sofort öffneten sich unter akustischer Fanfarenbegleitung die Flügel der Einlasstür, die Beleuchtung wurde festlich gedimmt, mehrere Spots warfen ihr Gleisnerisches auf die Tür, durch die das hohe Paar huldvoll und winkend einmarschierte. Es war ein Bild für die Götter, es war ein Bild um endgültig atheistisch zu werden.
    „Das sind sie also. Oh. Mein. Gott. Solche Fressen sieht man sonst nur im Nachmittagsprogramm der Privatsender.“ Dies raunte mir Vika ins Ohr, ihr schwerer Schaumweinatem kitzelte die Härchen. Wenigstens ein Lichtblick in dieser humoristischen Finsternis.
     
     
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    Ein schrecklicher Verdacht. War Karneval die grobschlächtige Rache der Hackfressen und Ohrfeigengesichter am gesitteteren Teil der Menschheit? Gnadenloser Terror hinter der Maske jovialen Biedersinns, organisierte schwere Körperverletzung, Privatfernsehen mit anderen Mitteln? Wenn ja, dann hatte man bei mir sein Ziel erreicht. Ich befand mich im quälenden Stadium prophylaktischer Trunkenheit, eine verstörte Kreatur im Akt der Notwehr, ich lächelte bitter und schief, ich grölte und schunkelte, ich stapfte mit meiner Eurokrücke den Marschmusiktakt, ich beobachtete die Grinseschnauze des feisten Prinzen Karl-Heinz und stellte mir seine Lieblichkeit Bianca bei einem traumatischen Liebesakt vor, der zu den Klängen von „An Aschermittwoch ist alles vorbei“ vollzogen wurde. Oh, wie so fürchterlich war doch dies.
    Derweil das Programm wie jedes verpfuschte Schicksal seinen Lauf nahm. Auf Sangesdarbietungen folgten Büttenredner, pubertierende Funkenmariechen in glitzernden Bodysuits erinnerten die literarisch vorgebildeten unter den Gästen daran, dass Lolita nicht nur der Name eines wunderbaren Romans ist. Ein Höhepunkt jagte den andern und zusammen jagten sie mir einen gehörigen Schrecken ein. Vika hingegen schien sich zu amüsieren. Sie unterhielt sich angeregt mit ihrer Nebenfrau, Typ Sparkassendirektorsgattin, flirtete sogar mit ihr, was der ebenfalls anwesende Sparkassendirektor indes als subtile weibliche Strategie interpretierte, mit IHM in Kontakt zu kommen.
    Ich beobachtete Karl-Heinz auf dem Podium, wo man für ihn und seine Holde eine Art Thron aufgebaut hatte. Er verfolgte huldvoll die Darbietungen, lachte an den richtigen Stellen und überreichte sogenannte „Orden“, die jeder bekam, der sich nicht gerade ein Bein brach oder ein Herzinfarkt erlitt.
    Obwohl mir nach Günther Raths Ableben der Besuch öffentlicher Bedürfnisanstalten irgendwie verleidet war, forderte der schlechte Schaumwein endlich seinen Tribut. So stand ich endlich in einer langen Reihe wenig standhafter Besucher am Pissbecken, wusch mir als einziger die Hände und freute mich auf die Zigarette draußen vor der Tür in der Eiseskälte. Nicht einmal ein Heizpilz wärmte.
    Mein alter Freund Otto Sängerle hatte sich schlauerweise einen schwarzen Mantel über das Kostüm gezogen und saugte gierig an seiner Zigarette. „Hallo Otto“, sagte ich, „das ist ja mal ne Überraschung.“ Er erkannte mich nicht sofort, sagte aber nach einer halben Minute: „Ach du Scheiße, Moritz. Du siehst ja noch verbotener aus als früher.“ Ich gab ihm das Kompliment zurück, er nickte. „Und was treibt dich zum Karneval? Hätte ich dir gar nicht zugetraut. Bist allein hier?“ „Nein“, antwortete ich knapp. „Ach so, mit deiner Alten?“ Ich gab es zu und wieder nickte Otto Sängerle, diesmal resigniert und wissend. „Ja, meine Alte ist natürlich auch dabei. Hab sie beim Karneval kennengelernt. Scheiß Karneval.“ Jetzt nickte ich, tat aber überrascht. „Hallo? Du bist doch ein Aktiver, ein Karnevalsnarr. –Oder?“ Er lachte bitter. „Hast du ne Ahnung. Soll ich dir mal was verraten? Wer im Karneval aktiv ist, macht das nur, weil passiv noch größere Scheiße ist. Unten rumhocken, sich die Hucke voll laufen lassen, Frauen, an die du nicht rankommst und die, an die du rankommst, rückt dir nicht von der Pelle. Das ist....“ Dem dichtenden Elektroinstallateur gingen die Wörter aus.
    Wir rauchten noch eine zusammen. Der Lärm kam schön gedämpft nach draußen, gerade wollten wir uns unsere Lebensgeschichten vorlügen, als Vika neben mir stand, mir ihre Zigarette hinhielt. „Gibst mir mal Feuer, Liebling?“ Otto Sängerles Augen, sonst nur

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