Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
sowie gut dotierte Literaturpreise, vor allem jedoch orientierte er sich funk- und fernsehwärts, „da wird wenigstens noch Geld in die Hand genommen und das ist mir lieber, als wenn meine Alte da was anderes in die Hand nimmt“. Er heiratete sie dennoch; sie lebten inzwischen getrennt und Marxer wartete geduldig auf den Erbschein.
„Du störst“, empfing mich Marxer an der Tür seiner Wohnung, der Beletage einer malerisch am Fluss gelegenen Jugendstilvilla, „aber ich freue mich, dich zu sehen, komm rein“. Er trug, wie immer wenn er arbeitete, einen seidenen Morgenmantel mit Karomustern, einen dito Schal sowie Lederlatschen an den nackten Füßen. So schlappte er mir voraus in die unter einer Orgie feinziselierten Stucks von höchster Bildung kündende Bibliothek, wies mir einen Platz am gediegenen Eichentisch zu, auf dem der Laptop leise vor sich hin babbelte.
Auf einem Leiterchen an der Bücherwand stand ein bezauberndes dunkelhaariges Geschöpf und wedelte den Staub von den Folianten. „Das ist Oxana“, sagte Marxer, dem mein interessierter Blick auf die knappe, ganz in Schwarz gehaltene Kostümierung der Wedlerin nicht entgangen war. „Russin?“, fragte ich lüstern, „oder gar Ukrainerin?“
Marxer verzog ein wenig das Gesicht, als habe jemand in seiner Anwesenheit Ketchup für die Trüffelpastete verlangt. „Nein, Kasachin“, antwortete er knapp. „Schläfst du mit ihr?“ fragte ich, ein wenig zu vorwitzig. Marxer wölbte empört die Stirn. „Immer noch der alte chauvinistisch-rassistische Typ, was? Hältst du alle Kasachinnen für potentielle Nutten? Das sind doch keine Thais! Ich sehe ihr ab und an beim Duschen zu, da waren die Polinnen, die ich früher hatte, freigiebiger. Aber kann man ja heutzutage als deutscher Dichter nicht mehr bezahlen. 1500 kostet mich der ganze Spaß hier, jeden Monat kommt ne Neue und die Mädels sind gut in Hausarbeit.“
Ich drückte mein Bedauern aus und bat Marxer, das Fräulein Oxana zu einer anderen Beschäftigung außerhalb der Bibliothek zu schicken, ich hätte ihm etwas ganz in Vertrauen mitzuteilen und brauche seinen Rat.
„Nee, keine Angst, die Kleine kann kein Wort Deutsch“, winkte Marxer ab und betrachtete versonnen die Hinterfront der immer noch mit dem Entstauben der buchgewordenen Literatur befassten jungen Frau. „Aber das trifft sich gut. Ich habe gerade einen writer’s block, irgend so eine Scheiße für nen Comedyheini, Sketche halt, wird klasse bezahlt, liegt aber beträchtlich unter meinem Niveau. War schon so verzweifelt, dass ich ein paar abstrakte Gedichte für meine neue Sammlung schreiben wollte. Also machs Maul auf und erzähle, alter Kumpan.“
Ich machte das Maul auf und begann zu erzählen. Alles, na ja, fast alles, die ganze Geschichte, und Marxer hörte halbwegs interessiert zu.
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„Interessant“ resümierte Marxer und gähnte. „Und wie soll ich dir jetzt helfen?“ Inzwischen hatte Oxana das Abstauben der Bücher beendet und die Bibliothek in einer Gangart verlassen, bei der die kasachische Steppe regelmäßig beben dürfte.
„Manche Frauen sind wahre Naturereignisse“, sinnierte ihr Marxer nach, „nur zu vergleichen mit Hochwasser, Vulkanausbrüchen und Heuschreckenplagen.“ Um sich dann mit der Frage „Du steckst ziemlich in der Scheiße, was?“ in das nüchterne Hier und Jetzt zurück zu denken.
Ich zuckte statt einer Antwort nur mit den Schultern und erinnerte Marxer daran, er verdiene einen beträchtlichen Teil seines Geldes doch mit dem Verfassen von Kriminalromanen, sei also quasi vom Fach. Das aber wies der Autor mit einem feinen ironischen Lippenstrich von sich. „Du vergisst, mein Lieber, dass nicht ich diese Krimis verfasse, sondern mein für die trivialen Bedürfnisse des Lesepublikums zuständiges alter ego Renate Graf-Dünkel.“
Ich hatte es nicht vergessen. „Aber das bist doch trotzdem du, oder? Und wieso eigentlich ein weibliches Pseudonym?“
Marxer lachte auf. „Du hast echt keine Ahnung, gell? In der Schule war das ja schon so. Während du Englischvokabeln gepaukt hast, bin ich mit der Englischlehrerin ins Bett. Jetzt kann ich es dir ja gestehen.“ Ich gestand ihm nicht, dass die ganze Schule davon gewusst hatte und sogar entsprechende Kopulationsfotos aus der Schulturnhalle in Umlauf gewesen waren. Marxer fuhr fort: „Als Mann hast du heute kaum noch eine Chance in der Krimiindustrie. Folglich verbergen sich hinter den meisten Autorinnen Männer. Was ja auch logisch
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