Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Günther-Rath-Gedenkbrezel kaufen? Eigentlich nicht, aber ich tat es. Kaute versonnen darauf herum, gönnte mir auch einen Blick in die Kaffeebar, wo Claudia alle Hände voll zu tun hatte und mich nicht bemerkte. An der Theke stand ein Typ in Uniform, sah wie ein Chauffeur aus, er sprach mit Claudia, sie scherzten offensichtlich, denn beide kicherten. Irgendwie kam mir der Kerl bekannt vor. Ein gutaussehender Mann mittleren Alters, das Haar schon gelichtet, die Uniform passte nicht zu ihm, ich war mir auch sicher, dass er das wusste. Aber woher kannte ich ihn?
Ich ging vor die Bahnhofstür, rauchte eine Zigarette und musterte die Luft. Sie hatten uns seit heute Morgen Schnee versprochen (oder angedroht), aber es war noch keiner gefallen. Ich atmete durch. Geh nach Hause, sagte ich mir, leg dich ein wenig hin, diese regelmäßige Arbeit ist nichts für dich, die macht dich müde. Aber ich war gar nicht müde und das überraschte mich dann doch.
Der Chauffeur stand neben mir, kramte Zigaretten und Feuerzeug aus der Tasche, rauchte, wartete, schaute auf seine Armbanduhr. Ich betrachtete ihn im Profil. Verdammt, ich kannte ihn, aber die Uniform irritierte mich. Also stellte ich ihn mir ohne vor, zuerst im Businessanzug, dann in Freizeitklamotten, schließlich – in einem Trainingsanzug. Und plötzlich fiel der Groschen. Das war Mathias Lanhoff, Extrainer der ortsansässigen Fußballmannschaft und vor Jahren in einen mysteriösen Mordfall verwickelt. Der arbeitete jetzt als Chauffeur?
Ich musste ihn mir etwas zu penetrant betrachtet haben, denn er bemerkte es, wandte sich mir zu, zog ein letztes Mal an seiner Kippe und sagte: „Kennen wir uns?“ „Sie sind doch der Trainer, stimmts?“ Er nickte bedächtig. „Ja. Und Sie? Irgendwie kommen Sie mir auch sehr bekannt vor.“
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Es stellte sich heraus, dass Mathias Lanhoff, ehemals Fußballprofi- und trainer, hernach kurzzeitig Leiter eines IT-Unternehmens in Vertretung seines auf mysteriöse Weise verschwundenen Jugendfreundes, nun, nach heftiger psychischer Erkrankung, die ihm dabei half, ein traumatisches Erlebnis mit einer Leiche und einer Frau aufzuarbeiten, Chauffeur in Diensten eines dubiosen Geschäftsmanns, es stellte sich also – um diesen Satz nicht noch länger zu machen, als er schon ist, aber warum eigentlich nicht? – es stellte sich also heraus, dass eben jener Mathias Lanhoff, den ich da zufällig vor dem Bahnhof getroffen hatte, dortselbst auf den ICE aus München wartete, mit dem die Tochter seines Chefs eintreffen würde.
„Der Chef hat übermorgen Geburtstag“, sagte Lanhoff, „die ganze Familie kommt. Susannchen ist Chocolatière, wenn Sie wissen, was das ist.“ Ich wusste es nicht, fragte aber auch nicht danach. „So, so“, fuhr Lanhoff fort, „und Sie sind dieser komische Bundesbeauftragte für Bürgerglück? Kommen Sie sich nicht etwas merkwürdig vor?“ Ich seufzte. Das sei noch sehr zurückhaltend ausgedrückt. Lanhoff sah wieder auf die Uhr, „noch sieben Minuten“, zog sein Zigarettenpäckchen hervor, hielt es mir hin. Ich nahm dankend an, wir rauchten noch eine.
„Tja, mit solchen Überraschungen muss man bei IHM rechnen“, sagte er nach den ersten beiden tiefen Zügen. „Er ist ein erbarmungsloser Autor, er behandelt seine Protagonisten lieblos, lässt sie manchmal sogar sterben.“ Ich nickte. Hatte ich gehört. „Na, wenigstens erscheint dieser Mist hier nicht in Buchform. Ihre Sache kann man ja sogar in Spanisch lesen.“ Lanhoff spuckte aus. „Wird so sein, aber ich denk lieber nicht dran. Jedenfalls sind wir verwandt, uns erwartet das gleiche unerbittliche Schicksal. Keine Ahnung, wie meines diesmal sein wird. Im ersten Buch hat er mich knallhart mit einer verwesenden Leiche in einen Bunker gesperrt, ne Frau war auch noch dabei, ne Kommissarin.“ Ich erinnerte mich dunkel. „Und an dieser Scheiße hab ich halt am Anfang des neuen Buches zu knabbern gehabt und dann werde ich halbwegs wieder gesund und was mach ich? Ich werde Chauffeur! Der Typ ist völlig durchgeknallt. Jetzt hockt er in seinem Elfenbeinturm und überlegt sich, wie es mit mir weitergehen soll.“
„Er hat keinen Plan? Sie meinen...“ Ich tat erstaunt. Lanhoff winkte ab. „Der feine Herr tut immer so, als sei er der große Zampano, der souveräne Marionettenspieler. In Wirklichkeit hangelt er sich von Absatz zu Absatz, ohne zu wissen, wie es eigentlich weitergehen soll.“ „Hm“, sagte ich, „bei mir scheint er im Moment nen
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