Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
neben strammen Mäxen, Würstchenpaaren mit Brot und Senf, Käsebroten und Frikadellen auch ein senegalesisches Nationalgericht angeboten, „schmeckt wesentlich besser als es aussieht“, offenbarte ihm Hermine auf die entsprechende Frage. Er lächelte sie an – charmant war er schon immer gewesen – und bestellte eine Portion.
Und weiter jetzt? Er hatte natürlich mit seinen Vorgesetzten Rücksprache gehalten. Die Leute in Augenschein nehmen, so der Auftrag, erst einmal passiv, man würde dann mögliche Aktivitäten abwägen. Dafür war er der richtige Mann. Unauffällig, eloquent, gute Manieren. Er schaute in das dampfende Etwas auf seinem Teller, eine Art Brei mit Fleischstücken, Farbe beige wie ein Billy-Regal. „Guten“, wünschte Hermine. Er bedankte sich und gabelte den ersten Bissen. Hm. Schmeckte wirklich gut.
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Mein Gott, was war er aufgeregt! Die Illner ganz cool, na ja, die machte das schon ein paar Jährchen. Hatte ihm auch die Hand auf den Rücken gelegt – er war sofort zum Vulkan geworden – und aufmunternd „Wird alles nicht so schlimm“ gesagt. Ja, sagte sich so einfach! Er war der einzige Amateur unter Vollprofis hier, nein, Kriesling-Schönefärb noch, sehr blass, sehr nervös. Etwas verlegene Begrüßung. Dann, nach der Einweisung, ein gemeinsamer Kaffee. Kriesling-Schönefärb erzählte, was er über Kleins Zusammenprall mit diesem angeblichen Georg Weber gehört hatte, Marxer staunte, hatte ihm Oxana natürlich nicht mitgeteilt.
„Krimidramaturgie“, sagte er, „natürlich ein geschickter Schachzug, hätte ich auch so gemacht. Die Leser langweilen sich doch sofort, wenn nicht alle zwanzig Seiten etwas passiert. Es muss immer Bewegung in der Geschichte sein, auch dann, wenn es eigentlich keine gibt. Das ist unser täglich Brot.“ „Hm“, antwortete Kriesling-Schönefärb, „sagen Sie jetzt bloß nichts von Essen. Mein Magen ist ganz flau.“ Der von Marxer war es auch. Appetitlosigkeit.
Charlotte Roche sah auch ziemlich gut aus. Hatte ihn natürlich ignoriert. Irgendso ein Krimiheini, wahrscheinlich kommt in seinen Büchern nicht mal Sex vor und wenn, dann dieser verkniffene. Wenn die wüsste! Marxer galt als der Henry Miller unter den Krimiautoren, da flogen die geschlechtlichen Fetzen, konnte man schon so sagen, hatte auch mal ein Kritiker geschrieben – nein, war er selbst gewesen, als er unter dem Namen Willibrord Kolysius bei Amazon seinen Roman „Entscheidung im Dreieck der Lust“ hymnisch gelobt hatte. Egal, gelobt war gelobt und stimmte doch alles. Aber die Illner war sowieso schärfer als die Roche.
Hamm-Brücher, Geißler, natürlich die abgezockten Medienprofis. Hatten keine Ahnung gehabt, wie das Thema genau lautete, war denen auch völlig wurscht. Die konnten über alles reden, die würden auch über alles reden. „Bundespräsidentenwahl als Krimi“, darüber wollte man sich unterhalten, hatte die Illner verkündet, deshalb auch – sie wies auf Marxer – ein Krimiautor, von dem man noch viel lernen könne. Die Roche war gerade beim Näschenpudern gewesen, schenkte ihm zum ersten Mal so etwas wie Aufmerksamkeit. Er versuchte sie zu ignorieren. Was du kannst, kann ich schon lange, ich hab deine Bücher nicht gelesen, Lady, aber glaub mir, ich würg dir schon noch einen rein. Geißler hatte ihn routiniert gemustert. „Krimi? Ich sag nur: Stuttgart 21 moderieren, DAS ist ein Thriller. Ist übrigens live im Fernsehen übertragen worden!“ Ja, ja, weiß doch jeder. Die Hamm-Brücher seufzte. „Als Theodor Heuss damals zum Bundespräsidenten gewählt wurde, gab es noch kein live. Ein Skandal!“ Oh mein Gott, es ging schon los. Marxer und die Roche verdrehten kurz die Augen, sahen sich an, hätten beinahe losgelacht. Doch nicht so uneben, die Dame, dachte Marxer, ich muss unbedingt mal was von ihr lesen.
Nur Kriesling-Schönefärb sagte nichts. Starrte vor sich hin, nickte manchmal dazwischen. Was suchte der eigentlich hier? Hatte doch nichts geleistet, hatte kein Wort für seinen Dienstherrn geschrieben, so schnell war der weg vom Fenster gewesen. Und außerdem: Galt für den nicht Schweigepflicht? Jetzt, eine Stunde später, beim Kaffee, redete Kriesling-Schönefärb. Ein wenig zerknirscht, weil er sich hatte kaufen lassen. Marxer winkte ab. Konnte man doch so nicht sagen! Er befand sich gerade auf dem Marsch durch die Institutionen, nennen wir es doch so. Er, Marxer, begreife sich als subversives Atom gewissermaßen, seine Gegner hatten den
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