Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Angeschissenen sind, weil sich nie etwas ändert und das Sein nicht das Bewusstsein bestimmt, sondern die Sache immer schon andersrum war – also es geht um die Mädels.“ Sie wies kurz auf die Tür zur „Bauernschenke“. „Monika und Helga, zwei ganz Aufgeweckte. Und was passiert? Kommt ein Idiot wie dieser Lothar dahergelaufen und alles ist im Eimer, die ganze Aufklärung futsch, der Intellekt schreibt sich fortan mit ‚c’, wenn Sie verstehen, was ich meine. Eine ménage à trois, sagt Ihnen der Begriff etwas?“
Ich kramte die Überreste von gefühlten hundert Jahren nutzlosen Französischunterrichts aus meinem Gedächtnis und verstand. Irmi stellte ihr Einkaufsnetz ab, blies eine Kältewolke um mein harrendes Haupt. „Zuerst lernt Helga diesen Lothar kennen und verliebt sich in ihn. Dann verliebt sich Monika in Lothar und Lothar merkt davon nichts, weil Helga und Monika so eineiig sind, wie es eineiiger gar nicht mehr geht. Und endlich merkt er es doch, wahrscheinlich an irgendwelchen Narben am Schambein, was weiß ich denn. Lothar ist das egal, hat er halt zwei identische Mädels, er hat ja auch zwei identische Unterhosen und Geschirrtücher und Frühstückstassen, nur Monika und Helga ist das nicht egal, sie streiten sich, sie sind eifersüchtig, sie bringen sich fast gegenseitig um. Typisch dekadentes Bürgertum.“
„Tja“, nickte ich, „so spielt das Leben. Und dieser Lothar? Ist er zwischen den Jahren hier in der Gegend nicht der Strom- und Wasserableser?“ Es war eine beiläufige Frage, allerdings eine von existentieller Bedeutung, entschied doch die Antwort endgültig darüber, ob die literarische Fiktion tatsächlich der Wirklichkeit überlegen sei.
„Strom- und Wasserableser?“ Irmi schüttelte den Kopf und desillusionierte mich. „Der Typ war in zwielichtige Geschäfte verwickelt, wenn Sie mich fragen. EVENTMANAGER...“ Sie sprach es aus wie unsereiner „motherfucker“. „Was soll das bloß sein? Er hat Partys für Reiche organisiert, dieser Proll, das muss man sich mal vorstellen! Ich tippe auf Mädchenhändler im Zweit-, Drogendealer im Dritt- und Waffenschieber im Viertberuf, und IM bei der Stasi war der sowieso oder bei BND oder der CIA.“
„Man muss heutzutage beruflich flexibel sein“, gab ich aus eigener Erfahrung zu bedenken, doch Irmi zischte den Einwand weg. Sie machte einen Schritt auf mich zu, sah sich um und sprach mit gesenkter Stimme: „Was ich vergessen hab: Im Fünftberuf war dieser Lothar wohl Heiratsschwindler. Ich weiß, dass die Mädels eine Hypothek auf ihr Lokal aufgenommen haben. Und ich hoffe nur, sie sind schlau geworden, als sie hinter den Beschiss gekommen sind.“
„Hm“, machte ich, „Sie meinen doch nicht etwa, dass...“ „Reden Sie nicht so mit drei Pünktchen am Schluss, das kann ich nicht ab.“ Sie nahm ihr Einkaufsnetz wieder auf und setzte sich Richtung Innenstadt in Bewegung, ich trollte mich an ihrer Seite, wir hatten eh ein Stück Weg gemeinsam. Aus der Entfernung wehte uns der Duft gebrannter Mandeln an, er schwebte auf einer schleimigen Wolke süßlicher Weihnachtsmusik. „Christkindmarkt“, spuckte Irmi aus, „da freuen sich Ehemann, Hausfrau und Kind.“ Sie blieb abrupt stehen, griff sich den Kragen meiner Jacke und zog ihn zu sich hinunter, was meinen Kopf sehr nah an ihren Mund brachte.
„Hören Sie, junger Mann. Ich kenne Sie kaum. Aber Sie sind in Ordnung. Eins sag ich Ihnen: Diese Welt wird eines Tages von alten Frauen in die Luft gejagt werden, so wahr ich Irmi heiße. Wir haben die Schnauze einfach voll.“ Sie ließ meinen Kragen los, lächelte und hob das Einkaufsnetz hoch. „Sehen Sie mal hier. Ein Würfel Margarine und eine Großpackung Tempotaschentücher. Wirklich? Wer sagt Ihnen, dass das keine Bomben mit Zeitzünder sind? Wer sagt Ihnen weiterhin, dass ich jetzt nicht damit auf diesen scheiß Christkindmarkt gehe und eine Glühweinbude oder einen Pfefferkuchenstand in die Luft jage? Na?“ Sie lachte und ließ mich stehen.
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(Achtung! Der folgende Text enthält explizit pornografische Beschreibungen und sollte daher nicht von Personen unter 18 Jahren (besser: 25 Jahren) gelesen werden!) Da ich noch schnell die versprochene Flasche deutschen Schaumweins hatte besorgen müssen, erschien ich ein wenig gehetzt vor Hermines Wohnungstür, die mir wie befürchtet von Jonas geöffnet wurde. Er musterte mich mit seinem 20-Silberlinge-Blick, fragte knapp „Sex oder Internet?“ und zog bei meinem
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