Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
richtig verbrannt hatte er es auch nicht, das Geld war wundersamer Weise anderswo immer wieder aufgetaucht, vorzugsweise in den Taschen der Leute, die gerne Parteien etwas spendeten. „Ich war damals“, schwadronierte er, als er bleichen Gesichts wieder auftauchte, „praktisch auch die FDP! Ich war überhaupt alles damals!“
Angeber, dachte der kleine Franzose. Aber schon richtig: Was sollte dieses Geldverbrennen, was steckte dahinter? Und vor allem: WER steckte dahinter? Das wussten auch die von CNN nicht. Befragungen der Geldverbrenner – lauter arme Würstchen – hatte ergeben, dass diese von Unbekannten angeheuert worden waren, zwanzig Euro Vorschuss und fünfzig nach vollbrachter Tat, die stets darin bestand, ein paar Geldscheine im Wert von allenfalls 100 Euro zu vernichten. „Eure fucking Chancellorin!“ fluchte der kleine Brite und, fürwahr, der Typ hatte wohl Recht. Aber warum machte Angela das? Was bezweckte sie? Der kleine Franzose grübelte. Jetzt fuhren sie in jene Stadt ein, wo sie als ihre eigenen Doppelgänger im Hinterzimmer einer schäbigen Kneipe zusammenkommen sollten. Auch hier: Wozu das Ganze eigentlich? Er wusste es wirklich nicht.
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Die Wunde hatte wieder zu schmerzen begonnen. Höllische Schmerzen, ein Brennen, ein Pulsen. Rüchels Sinne aber funktionierten, sie waren scharf wie entsicherte Kalaschnikoffs. Genau. Maschinengewehr. Schmeichel lauerte hier irgendwo mit einem Maschinengewehr. Rüchel duckte sich hinter einem PKW und sah die Straße rauf und runter. Irgendetwas Auffälliges? Ein weißblauer Lieferwagen ohne Aufschrift, die üblichen Familienkutschen. Vor der Kneipe ein betagter Ford Fiesta. Von Schmeichel keine Spur. Aber er war da, Rüchel hätte darauf wetten können. Und solche Wetten verlor er nie, da machte sich jahrelange Berufserfahrung bezahlt.
Es war kalt. Nein, es war saukalt. Seine Finger ließen sich kaum noch biegen, wie sollte er damit einen Revolver, ein Messer halten? Er hatte natürlich beides dabei sowie einen kleinen Hammer für den Nahkampf, wenn die Nuss Schmeichel nicht anders zu knacken sein würde. Er war gerüstet.
*
„Ach du Scheiße!“ Hermine und die Wirtsschwestern sahen ungläubig auf den Bildschirm des Fernsehers. Welcher Idiot hatte auf das ZDF gezappt, die Rentner waren doch noch gar nicht da. Sie glaubten nicht, was sie sahen. „Scheiß auf's Geld!“, die neue Spielshow für die ganze Familie, natürlich mit Jörg Pilawa und den Stargästen Günther Jauch und Helmut Karasek. In ebenso lustigen wie lehrreichen Spielen musste möglichst viel Bargeld vernichtet werden, wer am meisten schaffte, erhielt als ersten Preis eine prima Ferienwohnung auf Malle sowie ein Jahr lang täglich Obst und Gemüse bis zum Abwinken.
„Ich fass es nicht“, fasste es Hermine nicht beim Gläserspülen. „Unsereins schuftet sich für das bisschen Kohle ab und die da...“ Die Wirtsschwestern nickten. War ne komische Welt geworden, irgendwie.
*
Irgendwie fühlte sich Rüchel verarscht. Wo war Schmeichel? Oder gehörte es zu seiner Taktik, erst kurz vor dem wahrscheinlichen Massenmord am Tatort zu erscheinen, reinzugehen und nach vollbrachter Arbeit wieder unauffällig zu verschwinden? Ohne eingehende Observation des Ortes im Vorfeld? Das waren ja Punkverhältnisse, rügte Rüchel kopfschüttelnd. Zuzutrauen wars dem Kerl aber.
Also was würde er machen? Sich ein Auto besorgen. Schnell irgendwo gestohlen, kurzgeschlossen und ab damit. Das MG zusammenbauen, was ein routinierter Profi wie Schmeichel in drei Minuten hinkriegen würde. Vorfahren, reingehen, arbeiten, rausgehen, wegfahren, Wagen irgendwo stehen lassen, in den nächstbesten Nachtzug irgendwo hin, alle Spuren verwischen.
Wo aber war die Schwachstelle? Der Wagen. Schmeichel fährt vor, springt raus. Würde er ihn abschließen können? Wohl kaum. Selbst wenn: Und dann wieder aufschließen müssen, bevor er abhaut? Nie und nimmer. Also: die Rückbank. Vielleicht lag eine Decke im Auto, unter der man sich verstecken konnte. Wie lange würde Schmeichel für seinen Job brauchen? Eine Minute alles in allem, nicht mehr. Knapp, aber musste eben reichen. Irgendwo in einer einsamen Gegend, wahrscheinlich in der Nähe des Hauptbahnhofs, wird er dann anhalten und das wäre sein Ende. Unter der Decke vor, das Messer einsatzbereit, dem Kerl an die Kehle gesetzt und dann...
Die Wunde schmerzte immer noch, doch im Kopf fühlte sich Rüchel plötzlich sehr gut. Komm nur,
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