Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
sagte „au ja“ und himmelte Jonas an, der seine Sonnenbrille wieder aufsetzte und sofort über die Inflation zu klagen begann. „Jetzt pumpen uns auch schon die Portugiesen an, wart ma, wenn Spanien kommt. Flucht in die Sachwerte, sag ich immer.“
Aus meinem Portemonnaie flüchteten drei Zehner in seine hingestreckte Hohlhand, das Red Bull, dem ich mittlerweile einen leichten Herzinfarkt verdankte, stellte Jonas generöser Weise nicht in Rechnung.
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Meine kleine Privatdetektei wuchs und gedieh. Vom allseits beklagten Fachkräftemangel war nichts zu spüren, ich beschäftigte neben einer sehr vielseitigen weiblichen Ermittlerin mit guten Beziehungen zum Discounter-Milieu nun auch zwei ehrgeizige Nachwuchsangestellte, von denen der männliche sich irrtümlich als Partner fühlte und der weibliche nicht küssen wollte, weil die Zahnspange störte.
Wir fachsimpelten noch eine Weile, ich ermahnte meine Mitarbeiter, wenigstens ein paar Stunden zu schlafen, sie waren jedoch ziemlich aufgekratzt – Red Bull ließ grüßen – und fanterten sich in den aktuellen Fall. „Spionage“, mutmaßte Jonas, „die haben einen Code auf drei Hasen verteilt, sehr schlau gemacht“, was Laura mit „cool“ bestätigte und auch mir ein beifälliges Nicken abrang. So könnte es sein. Musste nicht, doch wir einigten uns darauf, recht zu haben.
„Ich schau mal, ob ich lotharmäßig noch was rauskrieg“, versprach Jonas und gähnte. „Das riecht doch alles nach Koks, ich meine, wenn dem sein Fressen schon Kacke is, warum ist der dann so gut im Geschäft? Nee, Koks.“ Auch das war gut möglich."Cool“ sagte Laura,"cool“ sagte ich.
Das Paar verabschiedete sich. „Keine Dummheiten“, raunte ich Jonas zu. „Ach Quatsch, Alter, Laura is noch Jungfrau, denkt ja nicht jeder pausenlos ans Poppen.“ Und sah mich als Beleg dieser steilen These eindeutig an. Ich war schwer beruhigt und aufgekratzt zugleich, kochte mir – spielte eh keine Rolle mehr – einen Kaffee und dachte an viele Dinge synchron. Daran, dass nun Donnerstag war und morgen Freitag und damit Heiligabend mit seiner üblichen Tristesse in der weihnachtsbaumfreien Zone meiner kümmerlichen Wohnung; an die spätestens nach den Feiertagen dringende Notwendigkeit, mir neues Geld zu beschaffen, die Miete wurde fällig, von allem anderen gar nicht zu reden; an die Firma „Delikatess-Express“, über die ich Informationen einholen musste; an die Ereignisse des Abends, den Wagen der Gebhardt, den leeren Briefumschlag, der in meiner Hosentasche steckte.
Der leere Briefumschlag. Ich hatte ihn im Handschuhfach des Gebhardtschen Wagens gefunden, eingesteckt und mir nichts dabei gedacht, folgerichtig komplett vergessen. Ich holte ihn hervor, er war an Gebhardt und Lonig adressiert, eine französische Briefmarke war draufgespuckt worden, kein Absender, dafür ein Poststempel. St. Malo. Ich brauchte keine zwanzig Minuten, um mich zu entsinnen, wer ein Häuschen in der Korsarenstadt am Ärmelkanal sein Eigen nannte. Regitz. Der gute, alte, hinterlistige, omnipotente Regitz, dieses fiese Schwein.
Komm, denk nach, nichts passt. Warum verrät er mir, wo er hinfährt? Weil er davon ausgeht, die beiden Jungs, die ihn verprügelt haben, würden mir gleiches antun, ich ihnen alles verraten, auch Regitzens Aufenthaltsort, was sie alarmieren dürfte, und genau das will Regitz, aber warum nur? Oder doch alles nur Zufall? Unglaubwürdig zwar, aber nicht unglaubwürdiger als in handelsüblichen Kriminalromanen? Hau dich hin, Alter, schlaf oder denk pausenlos ans Poppen.
Borsig. Anrufen. Klingeln lassen. Nichts. Zwei Uhr noch was, Blick aus dem Fenster. Schneeflocken taumelten, redbulllos, trunken. Ich ging zu Bett und träumte von nichts. Es war furchtbar.
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Das Leben ist, wenn man aus dem Schoß der Mutter rutscht, ein leeres Rätselheft. Das sich, je länger man existiert, immer mehr füllt und schließlich, liegt man endlich sechs Fuß tief oder in der Urnenwand, voll ist. Und die Lösungen finden sich nicht hinten im Heft oder im nächsten, denn das nächste gibt es ja nicht. Schlimmer noch: Der ganze Scheiß geht nicht auf, das ist der Sinn des Ganzen.
Man schaue sich nur einmal Tunesien an. Ferieninsel mit sechs Buchstaben, ok, Djerba. Und das J gehört zu „Protest in Tunesien“, da schreibst du „Jugendrandale“, stimmt auch. Das D soll dann der erste Buchstabe von „weltweit verbreitetste Staatsform“ sein, du versuchst „Demokratie“, passt aber
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