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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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wie ich selbst. Ich packte den Burschen am Kragen, der in Ermangelung eines solchen ein dünner Hals war. Borsig japste. „Pass auf“, sagte ich, „mir fehlt einfach die Geduld zur Diplomatie. Erzähl mir, wie du hierher kommst, lüge nicht, sonst drück ich zu.“
    Borsig machte ein Zeichen, er zeigte auf seinen Hals. Ich lockerte meinen Griff ein wenig. „Ja“, gurgelte er los, „ich sag alles, aber wenn du mich nicht los lässt, krieg ich eh kein Wort raus und kann nicht lügen und du nicht zudrücken, aber tot bin ich dann trotzdem.“ Die Logik seiner Worte hatte etwas unwiderstehlich Bizarres und leuchtete mir auf der Stelle ein. Ich stieß Borsig auf sein Strohlager zurück. „Dann mal hübsch schön von vorne geplappert. Warum bist du hier?“
     
     
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    Traurig, aber wahr: Man muss nur ein zünftiges Drohszenario aufbauen, schon läuft die Wahrheit aus den Menschen wie die Schwefelsäure aus den Rheinschiffen. Ich verspürte plötzlich lindes Mitleid mit all den Diktatoren Arabiens, diesen weisen Männern, denen der Plebs gerade auf die Pelle rückte. Nein, schon richtig: Sämtliche Lebewesen oberhalb der Intelligenzstufe von Schimpansen, Delphinen und Wühlmäusen kennen nur das Argument der geballten Faust, sogar der Mensch, obwohl er unter dieser Stufe steht.
    Und Borsig erzählte, meine Hand bildlich um seinen Hähnchenhals gekrallt. Wie vermutet, hatte ihn der durchtriebene Regitz instrumentalisiert und hinter der Gebhardt hergeschickt. „Lass sie nicht aus den Augen, es soll sich für dich lohnen.“ Also war ihr Borsig gefolgt. Zum Friseur, wo sie sich eine Trauerfrisur hatte schnippeln lassen, zum Bestatter, um die Formalitäten der Beisetzung ihres Bruders Lothar zu regeln, zum Nagelstudio, ins Café Waldeck zum Brunch mit Freundinnen, und gestern Morgen halt in dieses Dreckskaff Großmuschelbach. Aha, dachte ich, die Reifenspuren.
    „Ja“, bestätigte Borsig, „sie ist zu diesem schmierigen Typen hochgefahren, ich zu Fuß nach. Hab durchs Fenster gelinst. Die hockten da und haben Tee getrunken und geschwätzt. Hab aber nix verstanden, ehrlich nicht. Wollte wieder weg. Ging aber nicht. So ein fetter Alter steht auf einmal hinter mir, Klamotten wie ausm Kleidersack, verstehste, und nimmt mich in den Schwitzkasten. Nun ja.“
    Die Gebhardt habe ihn erkannt, er arbeite ja manchmal mit Regitz für die Firma. „Ausgequetscht“, flüsterte Borsig beschämt, „nach Regitz gefragt und so.“ Ich nickte bitter. „Regitz hat uns beide nur benutzt. Er plant ein krummes Ding. Weißt du, wo er sich aufhält?“ „Frankreich“, wusste Borsig, „da oben irgendwo.“ Ich nickte die präzise geografische Info ab. „Weiter.“
    Nun, nix weiter, erzählte der Kleine. „Sie haben mich hierher gebracht. Mich gezwungen, meine Klamotten auszuziehen, mir ne Flasche Wasser und so ein scheiß halbes Hähnchen dagelassen und weg waren sie.“ „Wo sind wir hier eigentlich?“ „Altes Silberbergwerk“, sagte Borsig. „Gestern Nachmittag kommt der Alte mit drei andern Typen wieder und sie schleppen dich in den Raum nebenan. Ob ich dich kenne, fragen sie. Nö, sag ich, weil richtig kennen tu ich dich ja nicht. Rest kennst du ja.“
    Wir beschlossen, uns eine Weile unserem Schicksal und unseren Gedanken zu überlassen, was beides trostlos war. „Und wieso hat Regitz DICH verarscht?“ fragte Borsig dann in die Stille hinein, „hat er dich auch auf jemanden angesetzt oder was?“
    Als Antwort spuckte ich ein langes „Tjaaaa“ an die Wand und die spuckte mir prompt den Vokal zurück. „Verstehe“, sagte Borsig, „du traust mir nicht. Das alte Problem der Arbeiterklasse.“ Er solle mich mit seinem Klassenkampfquatsch in Ruhe lassen, nicht wie x-beliebige Vorsitzende von Linksparteien daherreden. Das saß und wir überantworteten uns, nebeneinander auf dem Strohlager, wieder Schicksal und Gedanken, zwei Männer, die aus einem QUELLE-Katalog, Abteilung Herrenunterwäsche entsprungen schienen. Aber Stille? Überall tropften die Wasserhähne und warteten auf den Installateur. „Stalaktiten“ murmelte ich, „Titten“ echote Borsig und seufzte. „Du hast ja Sorgen. Wir sitzen hier und verrecken jämmerlich und du denkst nur an die Weiber.“
    Ja, es war traurig. So traurig, dass sogar kleine Mädchen zu weinen anhoben. Kleine Mädchen? Weinen? Jetzt hörten wir es deutlich. Vor unserer Kerkertür stand ein kleines Mädchen und weinte.
     
     
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    „Naa, mein Kind?“ Borsig, sein Maul klebte fast

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