Die Eheprobe
wilden Tier in Kontakt zu treten, Auge in Auge. Peter streckt seine Hand aus, als wolle er das Geweih des Hirschs berühren, und diese plötzliche Handbewegung scheint den Hirsch aufzuwecken, und er haut ins Gebüsch ab.
»Das war unglaublich.« Peter dreht sich mit leuchtenden Augen zu uns um. »Habt ihr gesehen, wie er mich angeschaut hat?«
»Hattest du keine Angst?«, fragt Zoe.
»Er hat nach Gras gerochen«, sagt Peter. »Nach Felsgestein.«
William wirft mir einen Blick zu und schüttelt verwundert den Kopf.
Auf dem Weg zurück gehen wir hintereinander durch den Wald. Peter führt den Trupp an, dann folgt Zoe, dann ich, und William bildet die Nachhut. Ab und zu dringt die untergehende Sonne durch die Bäume â violett, dann hellorange. Ich recke mein Gesicht in die Höhe, um etwas von der Wärme abzubekommen. Das Licht fühlt sich wie eine Segnung an.
William greift nach meiner Hand.
Kapitel 75
Mitten in der Nacht wache ich von Zoes lautem Geschrei auf. William und ich sitzen kerzengerade im Bett und sehen uns an.
»Es ist ein Ammenmärchen«, sagt er, »oder?«
Während der paar Sekunden, die wir brauchen, um uns aus unseren Schlafsäcken zu befreien und den ReiÃverschluss des Zeltes aufzuziehen, hören wir drei weitere beunruhigende Geräusche: einen brüllenden Peter, durch den Dreck stapfende FüÃe, und dann schreit auch Peter richtig laut los.
»O Gott, o Gott, o Gott«, kreische ich, »beeil dich, geh raus!«
»Gib mir die Taschenlampe!«, ruft William.
»Was willst du damit machen?«
»Dem Bären den Schädel einschlagen, was denn sonst?«
»Mach Krach. Schrei. Fuchtel mit den Armen herum«, sage ich, aber William ist schon weg.
Ich atme ein paarmal tief durch und klettere dann ebenfalls aus dem Zelt, um folgendes Szenario vorzufinden: Zoe im Nachthemd und barfuÃ, die Gitarre wie einen Baseballschläger hocherhoben in der Hand. Jude auf den Knien, den Kopf eingezogen, als läge er auf einer Schlachtbank, Peter ausgestreckt auf dem Boden, William an seiner Seite.
»Es geht ihm gut«, ruft William mir zu.
Ein paar Leute von den angrenzenden Stellplätzen sind hergerannt gekommen und stehen an der Eingrenzung unseres Platzes. Alle tragen Stirnlampen und sehen aus wie Bergleute, mal abgesehen von den Schlafanzügen.
»Alles in Ordnung!«, ruft William ihnen zu. »Geht zurück in eure Zelte. Wir haben alles unter Kontrolle.«
»Was war denn los?«
»Es tut mir so leid, Alice«, sagt Jude.
»Weinst du, Jude?«, fragt Zoe. Ihr Gesicht wird weicher, und sie senkt den Arm mit der Gitarre.
»Wo ist der Bär?«, sage ich laut. »Ist er abgehauen?«
»Kein Bär«, ächzt Peter.
»Es war Jude«, sagt Zoe.
»Jude hat Peter angegriffen?«
»Ich wollte Zoe überraschen«, sagt Jude. »Ich habe ihr ein Lied geschrieben.«
Ich renne zu Peter. Sein Hemd ist hochgerutscht, und ich sehe eine Schnittwunde auf seinem Bauch. Entsetzt halte ich mir die Hand vor den Mund.
»Pedro hat meine Schreie gehört und versucht, mich zu retten«, sagt Zoe. »Mit seinem Grillspieà für die Marshmallows.«
»Er ist damit losgerannt«, sagt Jude, »und dann ist das Ding im Boden stecken geblieben.«
»Dann hat er sich selbst gepfählt«, sagt Zoe.
»Leck mich«, flucht Peter, »ich bin für dich in mein Schwert gefallen!«
»Es ist kaum Blut zu sehen, kein gutes Zeichen.« William beleuchtet die Wunde mit seiner Taschenlampe.
»Was ist das gelbe Zeug, das da herausgekringelt kommt?«, frage ich. »Eiter?«
»Ich glaube, das ist Fett«, meint William.
Peter kreischt los.
»Alles gut, alles in Ordnung, nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.« Ich versuche so zu tun, als wäre aus einer Wunde quellendes Fett ein ganz gewöhnlicher Anblick. »Jeder trägt Fett mit sich herum.«
»Das bedeutet, dass der Schnitt tief ist, Alice«, flüstert William mir zu. »Das muss man sicher nähen lassen. Wir müssen ihn ins Krankenhaus bringen.«
»Erst kürzlich habe ich den Film Teen Lover mit John Cusack gesehen, und das hat mich inspiriert«, rechtfertigt sich Jude.
» In Your Eyes . Ich liebe Peter Gabriel«, schnauft Peter. »Hoffentlich ist dein Lied das Ganze hier wert.«
»Du hast ein Lied für mich geschrieben?«
»Ist das
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