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Die Eheprobe

Die Eheprobe

Titel: Die Eheprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Gideon
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William.«
    Â»Und wenn wir einen Notfall haben?«, fragt William.
    Â»Ich habe einen Verbandskasten dabei.«
    Â»Eine andere Art von Notfall«, sagt er.
    Â»Was denn für einen?«
    Â»Einen, bei dem man jemanden erreichen muss«, sagt er.
    Â»Genau darum geht es doch. Sich gegenseitig mal erreichen«, sage ich. »IRL.«
    Â»IRL?«, fragt William.
    Â»Im richtigen Leben«, sage ich.
    Â»Es kotzt mich total an, dass du dieses Akronym kennst«, sagt Zoe.
    Eine Viertelstunde später, augenscheinlich unfähig, irgendetwas zu tun – in den Tag träumen, sich unterhalten oder auch nur einen einzigen originellen Einfall ohne ihre technischen Hilfsmittel haben –, schlafen die Kinder hinten im Auto ein. Sie schlafen, bis wir auf den Campingplatz einbiegen.
    Â»Und jetzt?«, fragt Peter, als wir mit dem Zeltaufbau fertig sind.
    Â»Was und jetzt ? Das hier ist jetzt«, sage ich und breite die Arme aus. »Sich loseisen. Die Wälder, die Bäume, der Fluss.«
    Â»Die Bären«, sagt Zoe. »Ich habe meine Tage und bleibe in meinem Zelt. Blut ist für die wie Katzenminze.«
    Â»Ekelhaft«, sagt Peter.
    Â»Das ist nur ein Ammenmärchen«, sagt William.
    Â»Ist es nicht. Sie können es meilenweit entfernt riechen«, widerspricht Zoe.
    Â»Gleich wird mir schlecht«, sagt Peter.
    Â»Lasst uns Karten spielen«, sage ich.
    Zoe streckt einen Finger in die Luft. »Zu windig.«
    Â»Scharade«, schlage ich vor.
    Â»Was? Nein! Es ist noch nicht dunkel. Die Leute können uns zusehen«, widerspricht Zoe.
    Â»Na gut. Wollen wir dann ein bisschen Feuerholz sammeln gehen?«, frage ich.
    Â»Du siehst wütend aus, Mom«, sagt Peter.
    Â»Ich bin nicht wütend. Ich denke nach.«
    Â»Ich mach erst mal ein Nickerchen«, sagt Zoe.
    Â»Ich auch«, sagt Peter. »So viel Natur auf einmal macht mich ganz schläfrig.«
    Â»Ich bin auch ein bisschen müde«, sagt William.
    Â»Macht, was ihr wollt. Ich gehe zum Fluss hinunter«, sage ich.
    Â»Nimm einen Kompass mit«, meint William.
    Â»Das sind fünfzig Meter von hier«, sage ich.
    Â»Wo denn?«, fragt Peter.
    Â»Durch die Bäume. Dahinten. Siehst du’s? Wo die ganzen Leute schwimmen.«
    Â»Das ist ein Fluss? Sieht eher aus wie ein Bach?«
    Â»Tucker, du darfst im Wasser nicht Toter Mann spielen!«, dringt eine lautstarke Stimme an unsere Ohren.
    Â»Warum nicht?«, brüllt ein Junge zurück.
    Â»Weil die Leute sonst denken, du wärst tot!«
    Â»Wir sind den ganzen Weg hierher gefahren, nur damit du in einem Bach schwimmen kannst, zusammen mit Hunderten von anderen Leuten? Da wären wir besser einfach ins Schwimmbad gegangen«, sagt Peter.
    Â»Ihr seid echt unfassbar!« Beleidigt stampfe ich davon.
    Â»Alice, wann kommst du zurück?«, brüllt William hinter mir her.
    Â»Niemals!«, keife ich zurück.
    Zwei Stunden später, mit Sonnenbrand und bester Laune, schnappe ich mir meine Schuhe und mache mich auf den Rückweg. Ich bin kaputt, aber auf eine gute Art, die Art, die daher kommt, dass man an einem Nachmittag im Juli in einem eiskalten Fluss untergetaucht ist. Ich gehe langsam, weil ich den Zauber nicht brechen will. Mitunter habe ich so etwas wie eine außerkörperliche Erfahrung, in der ich meine gesamten früheren Inkarnationen gleichzeitig wahrnehme: die Zehnjährige, die Zwanzigjährige, die Dreißigjährige, die Vierzig-und-ein-paar-Zerquetschte-Jährige – sie alle atmen und sehen die Welt durch meine Augen in ein und demselben Augenblick. Die Kiefernadeln auf dem Weg knirschen unter meinen nackten Füßen. Der Geruch nach gegrillten Hamburgern bringt meinen Magen zum Knurren. Aus der Ferne dringt Musik aus dem Radio zu mir – vielleicht Todd Rundgrens Hello It’s Me ?
    Es fühlt sich komisch an, so ganz ohne mein Handy. Es fühlt sich noch komischer an, nicht ständig in Alarmbereitschaft zu sein und auf den nächsten Einschlag zu warten: eine E-Mail oder eine Statusmeldung von Forscher 101. Stattdessen verspüre ich Leere. Keine sehnsuchtsvolle Leere, sondern eine angenehme, glückselige Leere, von der ich weiß, dass sie getilgt sein wird, sobald ich einen Fuß auf unseren Zeltplatz setze.
    Aber dazu kommt es gar nicht. Stattdessen finde ich meine Familie um den Picknicktisch versammelt, in eine Unterhaltung vertieft. Eine UNTERHALTUNG . Und kein Gerät,

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