Die Eheprobe
kein Spiel, noch nicht mal ein Buch in Sicht.
»Mama«, heult Peter los. »Geht es dir gut?«
Er hat mich seit mindestens einem Jahr, vielleicht sogar zwei Jahren, nicht mehr Mama genannt.
»Du warst im Wasser«, sagt William, als er meine nassen Haare bemerkt. »In deinen Shorts?«
»Ohne mich?«, fragt Zoe.
»Ich dachte nicht, dass du mitwillst. Du hast heute Morgen deine Haare eine halbe Stunde lang geföhnt.«
»Hättest du mich gefragt, wäre ich mitgekommen.« Zoe ist ein bisschen beleidigt.
»Nach dem Essen können wir noch mal Schwimmen gehen. Es ist noch hell.«
»Wir könnten doch auch eine Wanderung machen«, sagt Peter.
»Jetzt?«, sage ich. »Ich dachte, ich mach erst mal ein Nickerchen.«
»Wir haben auf dich gewartet«, sagt William.
»Ist das so?«
Die drei tauschen Blicke aus.
»Na gut. Super. Ich zieh mich kurz um, dann können wir los.«
»Wir sind nicht laut genug«, sagt Zoe. »Bären greifen nur an, wenn sie überrascht werden. Oder einen riechen. Huhu, huhu, Bär! «
Wir wandern bereits eine Dreiviertelstunde. Eine Dreiviertelstunde, inklusive Mückenjagd, Bremsenangriffen und Kindergequengel und ohne ein Lüftchen weit und breit.
»Ich dachte, das wäre ein Rundweg. Sollten wir nicht schon längst zurück sein? Und warum hat niemand eine Flasche Wasser mitgenommen? Wer geht denn ohne Wasserflasche wandern?«
»Lauf mal vor, Pedro«, sage ich. »Erkunde den Weg. Mir kommt das alles hier sehr bekannt vor. Ich bin mir sicher, wir sind bald da. Ich glaube, ich höre schon den Fluss.«
Das ist eine Lüge. Ich höre nichts auÃer brummenden Insekten.
Peter zischt los, und William ruft ihm hinterher: »Nicht zu weit! Ich will, dass du in Singweite bleibst. So lauten die Spielregeln!«
»Ich bitte euch inständig, tut mir das nicht an«, sagt Zoe.
Peter ergötzt sich an einer Wiedergabe von Pinks Raise Your Glass . »Right, right, turn off the lights, weâre gonna lose our minds tonight« , summt er in Hörweite vor uns.
Zoe verdreht die Augen.
»Besser als Huhu-Bär «, sage ich.
»Glaubst du wirklich, dass wir bald da sind?«, fragt William.
» Party crasher, penny snatcher ⦠«
»Du lieber Gott, ist damit etwa du-weiÃt-schon-was gemeint?«, frage ich.
»Was?«, fragt William.
»Du weiÃt schon, penny snatcher ?Ein Dieb? Eine Spardose? Ein Schlitz? Ein Euphemismus für â¦Â«
Er sieht mich verständnislos an.
»Muschi?«, flüstere ich.
»O Gott, Mutter, eine Va-gi-na , sagâs doch einfach«, lästert Zoe. »Und es heiÃt eigentlich panty snatcher , nicht penny snatcher .«
» Call me up if you a gangsta â¦Â«Peters Gesang bricht plötzlich ab.
Wir gehen ein paar Minuten lang weiter.
»Gibt es etwas noch Lächerlicheres als einen zwölfjährigen weiÃen Jungen, der das Wort Gangsta in den Mund nimmt?«, lästert Zoe weiter.
»Zoe, sei still.«
»Wieso denn?«
Wir bleiben alle stehen und lauschen.
»Ich höre nichts«, sagt Zoe.
»Stimmt genau«, sage ich.
William formt mit seinen Händen einen Trichter vor dem Mund und ruft: »Wir haben dich gebeten zu singen!«
Stille.
»Peter!«
William rast den Weg entlang, mit Zoe und mir auf den Fersen. Wir laufen um die Ecke und finden Peter starr und auf der Stelle festgewachsen vor, nicht mehr als eineinhalb Meter entfernt von einem GroÃohrhirsch, einem veritablen Trophäe-Bock, weit über neunzig Kilo schwer, das Geweih lang wie zwei Baguettes, und er und Peter scheinen in eine Art Anstarr-Wettbewerb vertieft zu sein.
»Geh ganz langsam rückwärts«, flüstert William Peter zu.
»Greifen GroÃohrhirsche an?«, flüstere ich William zu.
»Ganz langsam«, wiederholt William.
Der Bock schnauft und macht ein paar Schritte auf Peter zu, und ich ringe nach Luft. Peter wirkt, als wäre er verzaubert: Auf seinem Gesicht liegt ein leichtes Lächeln. Plötzlich verstehe ich, wovon ich gerade Zeuge werde. Es ist ein Initiationsritus. Wie Peter ihn hundertmal in seinen Computerspielen durchlaufen hat, im Kampf gegen alle möglichen jenseitigen Bestien, Menschenfresser und Hexenmeister und zotteligen Mammuts, aber nur selten hat ein Junge des einundzwanzigsten Jahrhunderts im wirklichen Leben so eine Chance â tatsächlich mit einem
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