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Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Titel: Die Ehre der Am'churi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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zog sich an dem Fels, der ihm so treu als Rettungsanker gedient hatte, in die Höhe. Ihm blieb nicht viel Zeit, die Strömung würde Jivvin im nächsten Augenblick wieder den Fall hinunter treiben. Als er mit den Fingern festen Halt hatte, wagte Ni’yo alles, riss die Beine hoch, katapultierte sich nach oben auf den Stein. Einen übelkeitserregenden Augenblick lang schien es, als würde der Fluss gewinnen, doch dann schlug er mit den Knien auf, und fand sich außerhalb des Wassers wieder. Ohne Atem zu schöpfen griff er hinab, bekam Jivvins Haare zu fassen und zerrte seinen Gefährten ohne jegliche Rücksicht zu sich heran. Schwer atmend sank er in sich zusammen, halb auf, halb unter Jivvins hustendem, krampfendem Leib begraben. In Sicherheit waren sie noch lange nicht. Aber sie lebten.

Ni’yo schreckte hoch, ohne zu verstehen, wo er sich befand.
    Dieses Dröhnen …
    Dann erinnerte er sich. Der Angriff, der Sturz, der lange Kampf gegen den Wasserfall!
    Nun wusste er wenigstens, warum er solche Schmerzen hatte. Geweckt hatte ihn allerdings eher die Kälte. Die Sonne, die bis vor kurzem den Fels gewärmt hatte, auf dem er zusammen mit seinem Gefährten lag, war weiter gewandert. Langsam richtete er sich auf, ignorierte den Protest seines zu Tode erschöpften Körpers. Jivvin lag still und verdreht unter ihm, doch er atmete. Ni’yo blickte sich um. Die Aussicht war unglaublich: Unter ihnen stürzten die Wassermassen in die Tiefe, hunderte Schritt hinab, die weiße Gischt sprühte über die Felsen und bildete einen Regenbogen im Licht der Sonne. Er konnte Dutzende Meilen weit in die Ebenen blicken.
    Abschätzend musterte Ni’yo die Steine, die aus dem Fluss herausragten, berechnete die Abstände, wägte ab, prüfte das Ufer in beide Richtungen. Immerhin, keine Kalesh in der Nähe. Ob sie aufgegeben hatten? Ni’yo entschloss sich für einen Kurs, und ohne lange zu zögern ging er das Wagnis an: Er packte sich Jivvin auf die schmerzenden Schultern und sprang zum nächstgelegenen Stein. Er wusste, nur ein einziger Fehltritt, und es war unwiderruflich vorbei. Seine zerschnittenen, aufgerissenen Füße machten die Aufgabe nicht leichter, dazu waren die Felsen schlüpfrig von Nässe und Moosflechten. Ni’yo wartete nicht, sprang hastig weiter zum nächsten Stein, und immer weiter. Anhalten war der Tod.
    Als er am Ufer landete, konnte er es selbst nicht glauben. Achtlos ließ er Jivvin von seinen Schultern rutschen, fiel mit ihm gemeinsam zu Boden. Sie hatten es geschafft, sie waren in Sicherheit!
    „Du bist wahnsinnig“, flüsterte eine Stimme dicht neben seinem Ohr.
    Ni’yo schlug mühsam die Augen auf und starrte in das blutige Gesicht seines Feindes.
    „Immer wieder gerne“, erwiderte er matt.
    „Warum?“
    „Was?“
    „Warum hast du dich nicht von mir befreit?“
    Innerlich seufzend presste Ni’yo die Augen zu. Er wollte jetzt nur noch schlafen, nicht diskutieren!
    „Im Wasser ging’s nicht, danach hatte ich keine Lust mehr“, nuschelte er ins Gras. Die späte Morgensonne wärmte wieder behaglich seinen Leib, er brauchte einfach nur ein wenig Ruhe…

17.
     
    Jivvin atmete erleichtert auf, als er Ni’yo stöhnen hörte. Er selbst hatte vielleicht zwei Stunden geschlafen, nachdem er es irgendwie geschafft hatte, ihrer beiden schlimmsten Verletzungen zu verbinden. Danach hatte er seinen bewusstlosen Gefährten ein Stück weit in den Wald getragen, fort von dem ewigen Dröhnen des Wasserfalls, bis er einen guten Platz zum Lagern fand: eine geschützte Lichtung, mit einem schmalen Bach in der Nähe. Rasch sammelte er genug Holz für ein Lagerfeuer, suchte an essbaren Pflanzen, Pilzen und Wurzeln, was im Umkreis zu finden war und wartete dann, bis Ni’yo wieder zu sich kam.
    „Wo sind wir?“, wisperte Ni’yo heiser.
    „In Sicherheit. Bleib liegen!“
    Ni’yo gehorchte nicht, versuchte, sich aufzusetzen – und erstarrte. Verblüfft blickte er auf seinen rechten Arm, dann in Jivvins Gesicht, das sich unmittelbar neben dem seinen befand.
    „Keine hektischen Bewegungen, sonst haben wir beide ein Problem“, warnte Jivvin.
    „Was soll das?“ Ni’yo musterte die Anordnung von Stoff und biegsamen Zweigen, die seinen und Jivvins Arm oberhalb der Ellenbogen fest zusammenbanden, während die Unterarme jeweils in Schlingen auf der Brust ruhten.
    „Du hast ernstlich versucht, dir die Hand abzureißen, das hat geblutet wie bei einer angestochenen Sau“, grinste Jivvin. „Verbinden kann ich’s nicht

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