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Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Titel: Die Ehre der Am'churi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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folgen. Sein gefolterter Körper protestierte gegen die Anstrengung, aber er nahm es schweigend hin. Eigentlich war es ihm egal, warum Jivvin so zornig war heute Morgen, ändern konnte er es sowieso nicht.
    Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir immer noch aneinanderhängen … Ich hasse es ja auch!
     
    Nach einer Weile lief Jivvin etwas langsamer und blickte schließlich zu Ni’yo hinüber.
    „Du hast letzte Nacht im Schlaf gesprochen“, sagte er, diesmal etwas weniger wütend.
    „Entschuldige, ich wollte dich nicht belästigen.“
    „Wer ist Lynea?“
    Überrascht starrte Ni’yo ihn an. „Lynea? Bist du sicher?“
    „Diesen Namen hast du genannt.“
    Ni‘yo schwieg so lange, dass Jivvin schon fast überzeugt war, keine Antwort mehr zu erhalten. Aber dann seufzte er leise.
    „Ich habe so lange nicht mehr an sie gedacht, seltsam … Lynea ist meine Schwester. Ich musste sie vor neunzehn Jahren verlassen. Sie hat mich immer mit einer Pfauenfeder gekitzelt, weißt du? Sie ist zwei Jahre jünger als ich … immer wachte sie auf, lange bevor irgendjemand sonst sich rührte, und schlich sich an mich heran. Und dann kitzelte sie mich so lange, bis ich aufwachte, ob ich wollte oder nicht.“ Er lächelte selbstvergessen. „Sie hat mir ihre Feder geschenkt, als ich fort ging … Niemand konnte so gut schleichen wie sie, obwohl sie doch noch so klein war. Sie ist ein Kind Murias geworden, ich habe sie als Wölfin gesehen. Vor kurzem erst, sie hatte versucht, mich aus den Händen der Elfen zu befreien. Am’chur, ich vermisse sie.“ Hastig senkte Ni’yo den Kopf, doch Jivvin sah, wie sehr ihn diese Erinnerung aufwühlte.
    „Hast du deine Eltern nicht mehr gesucht?“
    „Nein. Mein Vater ist tot. Meine Mutter und ich wurden von Elfen gejagt, als sie mich zum Tempel bringen wollte. Sie ließ mich schwer verletzt vor dem Tor zurück. Ob sie überlebt hat, weiß ich nicht. Ich hätte sie suchen können, aber …“ Er sprach mit jedem Wort leiser, bis seine Stimme ganz verebbte.
    „Es war leichter zu glauben, dass es ihr gut geht, wo auch immer sie ist“, führte Jivvin den Satz fort.  „Glücklich ohne dich, mit ihrem neuen, besseren Leben.“
    Ni’yo zuckte zusammen und starrte ihn verblüfft an.
    „Meine Familie wohnte früher nicht weit von hier, vielleicht zwei Tagesreisen südlich“, flüsterte Jivvin und blickte dabei in die Ferne.
    „Ich habe vier ältere Brüder und zwei große Schwestern, dazu noch drei jüngere Geschwister. Wir hatten so eng zusammengehalten, wir waren immer beieinander, egal ob bei den Schafherden oder allen sonstigen Arbeiten. Dann entdeckte man plötzlich, dass ich … gefährlich bin.“
    „Was ist geschehen?“, fragte Ni’yo, ohne seinen Gefährten anzublicken.
    „Ein Bär. Es war Spätherbst, so wie jetzt. Eigentlich hätte der Hünenbär längst in Winterschlaf gegangen sein müssen. Die Hünenbären sind sehr aggressiv, gerade zu dieser Zeit, weil sie dann kaum noch Nahrung finden. Wir waren auf dem Weg in die Wälder, ich weiß nicht mehr, warum. Mein Vater war dabei, und all meine Geschwister. Der Hünenbär tauchte plötzlich auf und griff einen meiner Brüder an, der ein wenig zurückgeblieben war.
    Ich wusste von der Gefahr, bevor der Bär sich zeigte, daran erinnere ich mich noch. Ich rannte los und stand plötzlich vor ihm. Er war dreimal so groß wie ich und hieb brüllend nach mir.
    Was ich dann getan habe, weiß ich nicht, nur, dass der Bär plötzlich fort war und meine ganze Familie um mich herum stand und schrie. Uric, mein Bruder, war verletzt, ich auch. Und da war eine Menge Blut auf dem Boden und an meinen Händen, das nicht von uns beiden stammte … Niemand sprach mit mir über das, was geschehen war. Der Winter war einsam für mich. Alle versuchten so zu tun, als hätte sich nichts geändert, aber sie konnten mir nie in die Augen sehen. Sie zuckten vor mir zurück. Die Angst in ihren Gesichtern, das war schlimm … Irgendwann bin ich gar nicht mehr in die Stube gegangen, und alle waren froh darüber. Sogar Mutter. Sie brachten mich im folgenden Frühjahr nach Vaio.“ Jivvin warf den Kopf in den Nacken und lachte bitter auf.
    „Mein Vater sagte beim Abschied, dass er unendlich stolz auf mich ist, und mit all meinen Geschwistern wiederkommen würde, im Sommer, zum Fest des Am’chur.“
    Ni’yo nickte. An diesen drei Tagen stand der Tempel Besuchern offen, es wurden Schauwettkämpfe abgehalten, um zu zeigen, was die Novizen und jungen Adepten

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