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Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Titel: Die Ehre der Am'churi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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bereits gelernt hatten. Nur selten kamen Familienangehörige – ein Am’churi war und blieb eine Schande.
    „Er sagte, sie würden jedes Jahr kommen und mich feiern, natürlich als besten Am’churi aller Zeiten, daran bestünde schließlich kein Zweifel. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.“
    Sie tauschten einen kurzen, verständigen Blick.
    „Die ersten Jahre habe ich auf sie gewartet“, gestand Jivvin kaum hörbar. „Vor allem in den ersten beiden Sommern. Da fand ich noch Erklärungen, warum sie nicht kommen konnten. Vielleicht war die Reise zu anstrengend, oder es hatte zu viele Lämmer gegeben, die man nicht allein lassen konnte … irgendwann starb die Hoffnung.“
    „Hast du sie gesucht?“, flüsterte Ni’yo.
    „Ja, auch sofort, als ich mit fünfzehn aus dem Tempel durfte. Als ich ankam, gab es unseren Bauernhof nicht mehr, die ganze Landschaft hatte sich verändert. Man erzählte mir, dass es ein Erdbeben gegeben hat. Ob meine Familie überlebt hat, weiß ich nicht. Mir gefällt dieser Gedanke … die Vorstellung eben, dass sie ein wunderbares neues Leben beginnen konnten, alle ihre Wünsche sich erfüllt haben. Dass Mutter ihre Seidenraupenzucht besitzt, wie sie es immer wollte, und Vater sich ein Pferd gekauft hat, Villyz als Gardist ausgebildet wurde …“
    Schweigend liefen sie nebeneinander her, jeder in seinen eigenen Gedanken und Erinnerungen gefangen. Es fiel ihnen schwer zu begreifen, dass sie die gleiche Art von Verlust erlitten hatten. Dass es eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen gab, nachdem sie neunzehn Jahre lang nur Hass und Zorn geteilt hatte.

16.
     
    Sie hielten sich weiter am Ufer des Flusses, der mittlerweile zu einem breiten Strom angeschwollen war. In einiger Entfernung sahen sie Dunst über den Bäumen aufsteigen, dazu lag ein tiefes, unirdisches Grollen in der Luft.
    „Der Ykedde?“, fragte Ni’yo. Jivvin nickte, es musste sich um den gewaltigen Wasserfall handeln, der über zweihundert Schritt in die Tiefe stürzte. Das erleichterte ihnen die Orientierung ein wenig, nun wussten sie mit Sicherheit, wo sie sich befanden.
    Beide Am’churi fuhren gleichzeitig herum, alarmiert von dem Gefühl, in Gefahr zu sein.
    Augenblicke später flogen Pfeile über ihre Köpfe, und Schattenhände griffen nach ihnen.
    „Lauf!“, brüllte Jivvin. Die Bäume um sie herum waren allesamt zu schmal, um zwei ausgewachsenen Männern Deckung zu bieten, also hielten sie auf das Ufer zu. Hier gab es Sonne, Licht, dass sie vor der Magie der Kalesh beschützte. Gerade noch wichen sie einem Elfen aus, der mit einem Säbel nach ihnen schlug, und rannten dann hastig weiter.
    Das Ufer war hier ein steiler, abschüssiger Steinhang, mehrere Schritt über der Wasseroberfläche. An Kampf war hier nicht zu denken. Plötzlich rutschte Jivvin auf dem losen Geröll aus, prallte heftig gegen seinen Gefährten, der auf der Uferseite lief. Aufschreiend verlor Ni’yo den Halt – und stürzte in den eisigen Fluss.
    Ein schwerer Körper prallte gegen ihn, drückte ihn noch tiefer unter Wasser. War es Jivvin, oder einer der Kalesh? Die Strömung riss ihn so rasch mit sich, dass Ni’yo die Orientierung verlor. Wo ging es nach oben, er musste atmen! Die Kette spannte sich. Jivvin musste vor ihm sein, ebenso unfähig, sich gegen die reißenden Fluten zu stemmen. Obwohl Ni‘yo strampelte, mit Armen und Beinen kämpfte, war er vollkommen wehrlos gegen die Gewalt des Wassers. Seine Lunge brannte, bunte Lichter tanzten und zuckten vor seinen Augen. Ni’yo wusste, er verlor diese Schlacht, gleich musste er einatmen, und dann würde er ertrinken … Es sei denn, er stürzte vorher den Wasserfall hinab, dessen Donnern selbst unter der Oberfläche immer lauter wurde. Dann würde sein Leib an den Felsen in der Tiefe zerschellen.
    In diesem Augenblick schrammte er mit den Schienenbeinen über scharfkantiges Gestein. Unwillkürlich schrie er auf, verlor dadurch die letzten Luftreserven. Unerbittliche Kräfte pressten ihn voran, doch seine Füße fanden Halt, klemmten sich beidseitig unter Steinen ein, in Spalten, die vom Wasser ausgewaschen worden waren. Sein Oberkörper wurde nach vorne gerissen, und plötzlich befand sich sein Kopf im Freien. Gierig schnappte er nach Luft. Ohrenbetäubendes Dröhnen empfing ihn, kochende Wasserwirbel zerrten an seinem Leib, wollten ihn mit in den Abgrund reißen, der sich genau vor ihm öffnete. Für den Bruchteil eines Momentes blickte er in Jivvins Gesicht. Sein Gefährte

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