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Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Titel: Die Ehre der Am'churi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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langsam über die Baumwipfel stieg. Es war angenehm, sich nicht zu streiten, einfach nur dem Wald und dem Wind zu lauschen und es trotz der frostigen Kühle warm zu haben. Jivvin ertappte sich selbst dabei, wie sehr er die Nähe seines Gefährten genoss, der mit dem Rücken seinen Oberkörper wärmte. Wie gut es tat, weder zu hassen noch zu kämpfen … wie gerne er ihn umarmt hielt, wie er sich danach sehnte, mit den Haarsträhnen spielen, die sich auf seiner Schulter ausbreiteten.
    „Wir sollten weiter“, sagte er mit belegter Stimme.
    „Ich kann nicht laufen.“ Ni’yo errötete beschämt, es klang jämmerlich. Jivvin war sich bewusst, was es für diesen Krieger bedeuten musste, so hilflos und abhängig von Gnade zu sein. Niemand hätte diese Situation leicht abgetan, aber Ni’yo, der selbst dann allein für sich sorgen musste, als er fast zu Tode gefoltert worden war, der seit seinem Eintritt in den Tempel stets alles allein bewältigt hatte …
    „Lass mich deine Wunden noch einmal ansehen. Ich bin sicher, morgen wird es schon wieder gut sein.“
    Mit leisem Bedauern schob Jivvin ihn von sich und bettete ihn langsam bäuchlings zurück auf die Decke.
    Am’chur, was ist bloß los mit mir? Bin ich so lange nicht mehr bei einer Frau gewesen, dass ich schon über jeden Körper herfallen will, und wenn es Ni’yos ist?
    Aber das war es nicht, Jivvin wusste es selbst.
    Die Pfeilwunde sah gut aus, sie hatte sich geschlossen, die schwarze Färbung war völlig verschwunden. Auch von den zahllosen Verletzungen, die von der Peitsche und den Felsen am Wasserfall gerissen worden waren konnte er fast nichts mehr entdecken. Vorsichtig tastete Jivvin den Kopf seines Gefährten ab, fand die Bruchstelle zwar noch, aber sie war kleiner geworden.
    „Morgen gehst du wieder auf eigenen Beinen“, entschied er.
    Ni’yo blickte ernst zu ihm hoch.
    „Ich will nicht fragen, aber es bleibt dabei, dass ich es nicht verstehe“, sagte er leise.
    „Erinnerst du dich, was du selbst gesagt hast? Ganz am Anfang, bei dem Tümpel, als du mir angeboten hast, meine Peitschenstriemen auszuwaschen? Alles, was ich für dich tue, nutzt mir im Augenblick selbst. Das ist immer noch die einzige Wahrheit, die ich dir bieten kann, Ni’yo. Wir sind aneinander geschmiedet. Es wäre einfacher gewesen, dir an diesem Tag den Kopf abzuschlagen, ja, aber das habe ich nicht getan. Also, wenn ich dich nicht töten will, muss ich für dich sorgen, als wärest du mein eigener linker Arm, und mich darauf verlassen, dass du das gleiche für mich tust, wenn es notwendig wird.“
    „All die Jahre, die wir uns nun kennen, hassen und bekämpfen, Jivvin, scheine ich vergeudet zu haben. Ich habe gelernt, mich von niemandem besiegen zu lassen oder aber den Schmerz zu ertragen, wenn ich doch bezwungen werde. Was ich nicht gelernt habe, ist andere Menschen zu verstehen. Neunzehn Jahre habe ich dich studiert. Ich kenne jede einzelne deiner Bewegungen, deine bevorzugten Taktiken, deine Stärken, deine Schwächen. Aber dich selbst kenne ich nicht.“
    Gedankenverloren starrte Ni’yo ins Nichts, während er diese Worte flüsterte.
    „Ich kenne mich selbst nicht“, gestand Jivvin ein. „Es scheint, dass einige Tage an der Seite des Todfeindes vieles verändern können.“
    „Das glaube ich nicht. Es weckt wohl nur Seiten in uns, die vorher verborgen waren, meinst du nicht?“
    Jivvin hatte inzwischen ihre Habe verstaut und hob den jungen Am’churi einmal mehr hoch. Ni’yo errötete vor Verlegenheit darüber, wie ein Kind getragen zu werden.
    „Ich weiß es nicht, solche Fragen stelle ich gewöhnlich Leruam. Gedenkst du, in Ohnmacht zu fallen?“, wechselte Jivvin unvermittelt das Thema.
    „Nicht, wenn es sich vermeiden lässt, warum?“
    „Wenn du wach bleibst, spuckst du vermutlich dein Frühstück über mich, sollte ich dich über der Schulter tragen, und darauf verzichte ich dankend.“
    „Verständlich. Hm, wie wäre es huckepack?“
    Und so nahm Jivvin seinen Gefährten auf den Rücken, damit sich keine Knochen in dessen gefüllten Magen bohrten und trug die Ausrüstung in der freien Hand. Ni’yos Arme hielt er so tief wie nur möglich nach unten gezogen, um ihn zu sichern, sollte er selbst stolpern. Schon nach kurzer Zeit spürte er, wie Ni’yo den Kopf auf seine Schulter sinken ließ und bald darauf eingeschlafen war.
     
    Erst kurz vor der Abenddämmerung wurde Ni‘yo auf seinem Rücken wach. Jivvin kletterte einen steilen Felsgrat empor, was

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