Die Ehre der Am'churi (German Edition)
weißhaarige Elf trat vor.
„Haltet ein, Am’churi“, sagte er, hob seine Hände, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war. „Wir sind nicht hier, um euch zu töten. Legt eure Waffen nieder, und wir werden euch helfen zu verstehen.“
Zögernd senkten Jivvin und Ni’yo die Säbel, starrten in die fremdartig schönen Gesichter der sie umgebenden Elfen. Es war keine Feindseligkeit, die ihnen begegnete. Niemand richtete eine Waffe auf sie, trotz der Anspannung und Wachsamkeit, die spürbar blieb.
„Mein Name ist Ilanrin. Folgt mir, Am’churi.“
Mit dem Gefühl, einen schweren Fehler zu begehen, lösten sie ihre Waffengürtel, legten die Säbel ab, und marschierten an schweigenden Schattenelfen vorbei. Schon bald schritt Ilanrin mit ihnen an der Spitze dieses Heers, das ihnen lautlos folgte, auf verschlungenen Wegen durch die Wildnis, bis sie auf eine Lichtung traten, auf der zwei Gestalten am Boden zu liegen schienen. Erst auf dem zweiten Blick wurde offenbar, dass es sich um Statuen handelte, aus glänzend schwarzem Gestein. Ni’yo kniete neben ihnen nieder, berührte zögerlich die Gesichter dieser menschenähnlichen Figuren. Traurig blickte er zu ihrem Führer auf.
„Du hast es erkannt, nicht wahr?“, fragte Ilanrin.
„Ja, es ist offensichtlich.“ Dann bemerkte Ni’yo den verständnislosen Blick seines Gefährten, und winkte Jivvin zu sich.
„Sie haben einst gelebt“, sagte er. „Sieh her, ein Am’churi und ein Schattenelf.“ Nun erkannte auch Jivvin die klauenartigen Hände der einen Gestalt, die den Hals des Elfen umklammerte. In der Brust des Am’churi steckte ein Dolch. Sie hatten sich gegenseitig getötet.
„Einst lebten Menschen und Elfen friedlich nebeneinander. Unser Volk bevorzugte die Wälder und Berge, die Menschen lebten an den Küsten und Wasserläufen. Unsere Wege kreuzten sich selten und ohne Hass. Dann entdeckten die Götter diese Welt, und nahmen sie in Besitz.“
Ni’yo und Jivvin nickten, sie kannten diese Legende vom Anbeginn der Zeit. Ilanrin lächelte bitter, als er fortfuhr: „Die Götter wählten zunächst aus beiden Völkern der Sterblichen jene aus, mit denen sie ihre schicksalshaften Spiele begingen, nach grausamen Regeln, die nur den Allmächtigen verständlich sind. Dann aber stritten sie sich darüber, ob dies der richtige Weg sei, denn allzu oft starben die Auserwählten, ohne ihre Aufgaben erfüllen zu können. Die Sterblichen seien zu schwach und nicht geeignet für den Krieg der Götter. Sie würden sich lieber gegenseitig helfen und die Schwachen beschützen statt sich zu bekämpfen. Am’chur war es, der eine Wette vorschlug. Ein Mensch und ein Elf sollten aneinander gekettet und in die Wildnis geschickt werden. Wenn sie als Freunde und lebendig zurückkehren würden, dann wolle man nicht länger versuchen, diese beiden Völker gegeneinander aufzuhetzen. Andernfalls wäre bewiesen, dass wir zum Hass geboren sind.“
Der alte Elf kniete nun ebenfalls neben den beiden steinernen Gestalten nieder, und berührte sie ehrfürchtig.
„Der Gott Kalesh nahm die Wette an und wählte den Elf als seinen Krieger. Am’chur wollte gewinnen und stattete den Menschen mit jenen Fähigkeiten aus, die heute einen Am’churi kennzeichnen. Dazu verletzte er den Elfen heimlich, um die Bedingungen zu seinen Gunsten zu verändern. Kalesh wurde wütend und schenkte seinem Erwählten die Macht, über Schatten zu gebieten und selbst zum Schatten werden zu können. Es kam, wie es kommen musste: Unfähig, voreinander zu fliehen, ohne Hoffnung zu überleben, schlichen sich Zorn und Hass zwischen die beiden Gefesselten. Der verletzte Elf, obwohl von Natur aus stärker als der Mensch, wurde zu solch einer Belastung, dass es in einem Kampf gipfelte, den beide nicht überlebten.“
Von Grauen erfüllt starrten Jivvin und Ni’yo auf die versteinerten Krieger. Da regte sich plötzlich die Statue des Am’churi. Er schlug die Augen auf, die von dem Feuer des Gottes erfüllt waren.
„ICH SAH EIN, DASS DIES DER FALSCHE WEG GEWESEN IST“, grollte Am’chur. „KALESH VERSTEINERTE DIE BEIDEN ALS EWIGES MAHNMAL. MEINE WETTE WAR GEWONNEN, DOCH AUF UNEHRLICHE WEISE. VON DA AN SUCHTE ICH DEN WEG DER EHRE, DEM MEINE ERWÄHLTEN ZU FOLGEN HABEN.“
Ilanrin fuhr fort: „Es kam zu einem Abkommen zwischen den Göttern. Alle dreihundert Jahre wird die Wette wiederholt, doch nur mit Am’churi als Opfer. Die beiden besten jungen Meister des Tempels werden gefesselt und in die Wildnis geschickt,
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