Die Ehre der Slawen
Beschämt wandte er sich etwas ab, damit die beiden Wendenjungen nicht seine Tränen sahen. Jetzt nur keine Schwäche zeigen , dachte er bei sich, womöglich lachen sie mich nur aus.
Seine beiden Begleiter hatten jedoch ganz andere Sorgen. Wie gebannt starrten sie über den Baumstamm, um auch ja nichts zu verpassen.
»Bei allen Göttern, was ist denn da nur los?«, flüsterte Rapak an Paddie gewandt. Er hätte sonst etwas dafür gegeben, wenn er das Gespräch zwischen Udo und Milosc in diesem Moment hätte mitverfolgen können. Leider lag zwischen ihnen und dem Geschehen die große Wiese, sodass sie nicht näher heranschleichen konnten.
»Siehst du doch«, flüsterte Paddie zurück, »unser Knese lässt den Blutegel nicht rein und dieser ist nun stinkesauer.«
Als der Moment kam, in dem Milosc einen Pfeil auf Udo abschoss, stieß Thietmar einen leisen, spitzen Entsetzensschrei aus: »Oh Gott im Himmel, er darf ihn nicht töten!«
Noch bevor der kleine Junge jedoch sein Gebet zu Ende gesprochen hatte, flog Udos Lanze bereits in hohem Bogen ins Gras.
»Ich danke Dir, oh Herr, dass Du den Pfeil daneben geleitet hast«, atmete Thietmar hörbar aus.
Paddie und Rapak sahen sich verwundert an.
»Wie kommst du denn auf den unsinnigen Gedanken, Thietmar, dass unser Knese danebengeschossen hat? Wenn Milosc einen Lanzenschaft treffen will, dann trifft er ihn auch«, belehrte Paddie den kleinen Jungen.
»Ja, und wieso darf unser Knese dieser giftigen Kröte keinen Pfeil in ihr glitschiges Fell brennen? Hat dieser verwunschene Dämon den Tod nicht schon tausendfach verdient?«, fragte Rapak voller Unverständnis.
Erstaunt wischte Thietmar sich mit den Fingern über die Augen und blickte die beiden Wendenknaben verständnislos an.
»Aber …, niemand kann doch auf so große Entfernung ein so winziges Ziel treffen!«
»Meinst du?«, fragten Paddie und Rapak gleichzeitig, wobei ein wissendes Lächeln über ihren Mund huschte. Thietmar winkte jedoch nur ab und erzählte weiter: »Ja, und wenn euer Fürst nun den grausamen Udo getötet hätte, dann nähme der Markgraf Dietrich eine fürchterliche Rache. Udo ist nämlich einer seiner treuesten Untertanen, müsst ihr wissen. Einer, der ihm immer ergeben zur Seite stand, wenn ihr wisst, was ich meine. Und diese Ehrverletzung könnte und würde der Markgraf niemals dulden.«
»Und du glaubst nun, dass wir mit diesem Diederich, oder wie er auch immer heißen möge, nicht auch noch fertig würden?«, fragte Rapak, wobei sein überlegenes Grinsen noch breiter wurde.
Thietmar blickte dem unwissenden Wendenjungen traurig in die Augen.
»Auch wenn ihr in eurem Stolz ein noch so ehrbares Volk sein möget … u nd von mir aus auch die besten Bogenschützen der Welt habt, was wollt ihr denn schon gegen eine Streitmacht, von …, na sagen wir mal … zehntausend Reitern ausrichten?«
Das Lächeln in Paddies und Rapaks Gesichtern gefror zu Eis.
»Zehn …, zehntausend, sagtest du?«
»Ja, zehntausend!«
Nachdenklich betrachtete Paddie seine zehn Finger und versuchte zur rechnen.
»Das sind wohl noch viel mehr Reiter als jene, die dort hinten lagern?«, wagte Rapak vorsichtig zu fragen und richtete sich etwas auf, um in die entsprechende Richtung zu spähen.
Nun war es an Thietmar zu lächeln, was ihm allerdings wegen seiner dick geschwollenen und heftig schmerzenden Nase nur recht kläglich gelang. Diese Naturburschen mochten ja in manchen Dingen recht geschickt sein und auch eine Menge von den Künsten des Handwerkes verstehen, aber mit der Mathematik hatten sie mit Sicherheit nicht allzu viel im Sinne.
»Nun, ja«, schulmeisterte der Kleine, »zehntausend, das sind noch ganz viel mehr Soldaten, als wie der gottlose Udo jetzt mit sich führt.«
»Du willst uns einen Bären aufbinden«, zweifelte Paddie. »Niemand kann ein so großes Heer aufstellen, geschweige denn befehligen.«
»Aber ja doch«, lächelte Thietmar traurig zurück, »der Markgraf Dietrich wiederum ist nämlich ein treuer Untertan des Kaisers, und wenn er den um Hilfe bittet, dann könnte er sogar die größte Streitmacht der Welt aufstellen.«
Ungläubig und staunend schüttelten Paddie und Rapak die Köpfe.
»Das verstehe ich nicht«, beschäftigte Paddie plötzlich eine ganz andere Frage. »Wenn euer Kaiser so mächtig ist, wie du sagst, warum lässt er sich dann von unserem Volke Waffenhilfe geben? Kann er denn seine Blutarbeit nicht von seinen eigenen
Weitere Kostenlose Bücher