Die Ehre des Ritters (German Edition)
dieses Lebewohl gestand sie sich nicht zu. Sie stand auf und wandte sich ab. Besänftigend redete sie auf sein Pferd ein, das sie in stummem Zorn anzublicken schien, nahm die Zügel und stieg in die Steigbügel, um sich rittlings in den Sattel zu setzen. Das Tier tänzelte unter ihr, offenbar verwirrt ob des ungewohnt leichten Gewichts, doch sie stellte zufrieden fest, dass es sich in Bewegung setzte, als sie mit der Zunge schnalzte und ihm einen leichten Stups mit den Fersen gab.
»Machen wir uns auf den Weg, Pferd«, sagte sie zu dem gespenstergrauen Tier. Im Galopp preschte sie über den von Mondlicht beschienenen Pfad, den Griffin ihr gewiesen hatte, erfüllt von dem wohligen Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben zurückgewonnen zu haben.
Der Wald lag still zu beiden Seiten, nur das Getrappel der Hufe war zu hören. Die Nachtluft war frisch und duftete berauschend nach Kiefern, Moos und Freiheit. Isabel atmete all diese Gerüche ein, zog Kraft aus der vorbeifliegenden Landschaft und hatte sich nie zuvor so zuversichtlich gefühlt, so ganz ohne Zweifel und Furcht.
Es war ein ausgesprochen gutes Gefühl, das Schicksal in den eigenen Händen zu halten.
Wenn ihr der vergangene Tag etwas gezeigt hatte, dann vermutlich, dass sie auf niemanden vertrauen konnte, außer auf sich selbst. Nicht, dass sie je auf einen anderen hätte vertrauen können. Diese enttäuschende Erfahrung wollte sie ihrer kleinen Schwester unbedingt ersparen. Maura sollte den Schmerz eines Verrats nie kennenlernen. Sie sollte nie erfahren, wie hässlich diese Welt war, oder die brennende Leere der Einsamkeit verspüren. Wenngleich ihre Eltern und alle anderen sie im Stich gelassen hatten, Isabel würde Maura nie im Stich lassen.
Diesen Eid hatte sie geschworen. Einen Schwur, an den sie sich mit eiserner Hartnäckigkeit klammerte, während sich die Stunden dahinzogen und die Nacht dem Morgen wich.
Trotz der Bürde ihrer Verpflichtungen konnte Isabel nicht umhin, an Griffin zu denken. Sie konnte das Bild nicht vergessen, wie er niedergestreckt und verlassen auf dem gefallenen Laub lag. Konnte nicht vergessen, wie sich seine Lippen entschieden zu angenehm auf den ihren angefühlt hatten, als er sie in diesem dunklen Korridor von Droghallow so unerwartet geküsst hatte. Noch immer brannte ihr Mund ob der Berührung, prickelte ihr Körper ob der verwirrenden Gefühle, die sie kaum verstand: Verblüffung, Unmut und etwas Flüchtiges – eine rätselhafte Wärme, die sich in ihr zu bewegen und zu atmen schien, wie etwas Lebendiges, etwas, das lange geschlafen hatte und nun durch Griffins sinnlichen Kuss geweckt worden war.
Er hatte ihm nichts bedeutet, das wusste sie natürlich. Der Kuss war lediglich eine zweckdienliche List gewesen, sie vor der Entdeckung zu schützen. Ein weiterer Beweis seiner Bereitschaft, sie auf jedwede Weise zu benutzen, die seinen selbstsüchtigen Zielen diente. Wenn er schon nicht davor zurückschreckte, von ihrem Mund Besitz zu ergreifen, zu was war er sonst noch fähig, wenn er es für nötig erachtete?
Sie konnte von Glück sagen, dass sie ihn sich vom Hals geschafft hatte, denn sie glaubte, sie konnte es nicht ertragen, die Antwort auf diese Frage herauszufinden. Und das Verlangen, dieses seltsame Gefühl zu verstehen, das er in ihr geweckt hatte – trotz der Gefahr, die es mit sich brachte –, war viel zu groß und drängend, als dass sie es gelassen hätte ertragen können.
Ja, befand Isabel entschieden, sie konnte wahrlich von Glück sagen, Griffin of Droghallow los zu sein. Sie konnte nur hoffen, dass das so blieb … für immer.
Als die ersten Strahlen der Morgendämmerung den Horizont streiften, wandte Isabel ihre Aufmerksamkeit erneut ihrer Umgebung zu. Der Waldweg schien kein Ende zu nehmen, er erstreckte sich vor ihr, soweit ihr Blick reichte. Ein unendliches Band locker getretener Erde. Sie hatte damit gerechnet, den Wald bis zum Morgen längst hinter sich gelassen zu haben und zumindest einen Blick auf Felder oder ein entferntes Dorf erhaschen zu können. Irgendetwas, das ihr zeigte, dass sie vorankam. Während ihres stundenlangen Ritts hatte sie allerdings kein solches Zeichen entdeckt. Isabel fragte sich, ob sie die ganzen drei Tage ihrer Reise nach Montborne auf diesem Weg verbringen würde.
Und etwas anderes begann, in ihr Bewusstsein zu dringen.
Während sie das gestohlene Pferd über eine steinige Stelle lenkte, überkam sie das vage Gefühl, dass der Wald Augen hatte, dass sie beobachtet
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