Die Ehre des Ritters (German Edition)
verachtete, fehlte ihr seine besitzergreifende, schützende Nähe.
Und das machte sie ganz gewiss zu einer riesengroßen Närrin.
Bemüht, sich gleichgültig zu geben, warf sie ihm einen herablassenden Blick zu, als er ihr aus dem Sattel half und sie sanft auf dem Boden absetzte.
»Wir können uns nicht lange aufhalten«, sagte er, während er eine lederne Satteltasche löste und ihr reichte. »Darin ist etwas Brot und Käse und ein Schlauch Wein. Nehmt, was Ihr möchtet. Ich werde uns weitere Vorräte beschaffen, sobald wir einen Unterschlupf für die Nacht gefunden haben.«
Ohne auf ihre Antwort zu warten, führte er den grauen Hengst zum Bach und streichelte den breiten Hals des Tieres, als es den Kopf zum Trinken beugte. Isabel hörte, wie er leise mit dem Tier redete. Die Zuneigung in seiner tiefen Stimme war offensichtlich. Dass er so sanft mit seinem Pferd umging, faszinierte sie ebenso sehr, wie es sie verwirrte. Nicht in der Lage, den Blick von ihm abzuwenden, beobachtete sie, wie er zurück zur Uferböschung kam, wo sie auf einem Polster aus weichem Moos saß.
»Ihr und dieses widerspenstige Tier passt gut zueinander«, sagte sie und knabberte an einer Kante Schwarzbrot. »Offenbar scheint Ihr seine Gesellschaft der von Menschen vorzuziehen, Mylord.«
»Gewöhnlich tue ich das«, antwortete er.
In seiner unverblümten Antwort lag keine Heuchelei, sie war durch und durch ehrlich gemeint. Zu ihrer Verblüffung erkannte Isabel darin auch einen Hauch von Einsamkeit. Dieses Gefühl war ihr wohlvertraut, obgleich es ihr widerstrebte, sich einzugestehen, dass dieser harte Mann, der so finster auf sie herunterstarrte, die gleichen Gefühle hegen konnte wie sie.
Sie unterdrückte ihr Mitleid und bot ihm Essen und Wein an. Allerdings überraschte es sie nicht, dass er ablehnte. Er setzte sich nicht, sondern blieb, aufrecht an einen großen Kiefernstamm gelehnt, einige Schritte von ihr entfernt stehen – ein einsamer Mann, abweisend, unnahbar.
Er reckte das Kinn und schaute in den Himmel. Ob er die Stunde bestimmen oder schlicht einem Gespräch ausweichen wollte, wusste sie nicht. Als er schließlich das Wort ergriff, war es, als spräche er mit sich selbst, als sei sie gar nicht da. »Der Tag ist halb vorüber. Doms Soldaten sind uns gewiss bereits seit einigen Stunden auf den Fersen. Es wird schwierig werden, sie mit nur einem Pferd abzuhängen.« Er schüttelte leicht den Kopf und stieß gedankenverloren den Atem aus. »Ich wünschte, wir hätten zwei Pferde genommen.«
Isabel hielt im Kauen inne und blickte ihn finster an. Genau das hatte sie vor ihrer Flucht vorgeschlagen – doch er hatte rundheraus abgelehnt, ohne auch nur darüber nachzudenken. »Und ich wünschte, ich hätte Euch einen härteren Schlag mit dem Ast versetzt«, murmelte sie.
Er sah sie an und fuhr lässig mit einem Finger über seine Schläfe, als könne er den Hieb immer noch spüren. »An Eurer Stelle würde ich diesen Vorfall in meiner Gegenwart nicht zu oft erwähnen, Mylady. Ebenso wenig wie den vorhergehenden Angriff auf einen anderen Teil meines Körpers. Zwei Anschläge auf mein Leben an einem Tag sind mehr, als ich ertragen kann.« Er musterte sie einen Augenblick, ehe er fragte: »Wo habt Ihr gelernt, Euch so geschickt zu verteidigen? Ich nehme an, solch tödliche Fertigkeiten habt Ihr nicht im Kloster anwenden müssen.«
Ein Funken Humor blitzte in seinen Augen auf, eher ein zartes Flämmchen, das sofort wieder verlosch. Dennoch spürte Isabel widerwillig, wie sich ihre Lippen unwillkürlich zu einem Lächeln kräuselten. Sie schaute auf ihre Hände und nahm ein krümeliges Stück Brot in die Hand. »Nein«, erwiderte sie. »Mein Leben im Kloster verlief recht friedvoll. Diese Fertigkeit habe ich zu Hause auf Lamere gelernt. Dort musste ich mich oft mit mehr als lediglich bloßen Worten zur Wehr setzen. Unsere Knappen und Pagen haben mich schonungslos aufgezogen. Sie machten sich über mein Haar lustig, meine Sommersprossen, meine Ungeschicktheit.« Sie zuckte die Schultern. »Ich hatte mich an ihre Scherze und Spötteleien längst gewöhnt, aber nachdem sie anfingen, auch die jüngeren Kinder der Burg zu verhöhnen … Nun, das konnte ich einfach nicht dulden.«
»So wurde meine Izzy also zur streitbaren Beschützerin der Schwachen auf dem Burghof und hat es mit den Rüpeln aufgenommen, vor denen sie einst geflohen ist.«
Überrascht, dass er sie »seine Izzy« genannt hatte, suchte Isabel seinen Blick. Auch er schien
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