Die Ehre des Ritters (German Edition)
nun vor mir steht, würde eher zusehen, wie mich das Wildschwein in Fetzen zerreißt, bevor er mir seine Hilfe anbietet.«
Griffin legte den Kopf schief und betrachtete sie mit sarkastisch gekräuselten Lippen. »Ganz im Gegenteil, Mylady. Ich wäre zutiefst betrübt, würde Euch ein Leid widerfahren. Heute ebenso wie damals. Ich kann zwar nur Vermutungen anstellen, doch bin ich mir ziemlich sicher, dass die Belohnung Eures Bräutigams weitaus geringer ausfiele, wenn ich ihm seine Braut in tausend Fetzen zerrissen überbrächte.«
Sprachlos vor Wut über diese abscheuliche Bemerkung funkelte Isabel ihn böse an.
»Meinen Dank übrigens für die Rückgabe meines Medaillons«, fuhr er fort und hob den bronzenen Halbmond in das Sonnenlicht, um ihn zu begutachten. »Ich nehme an, auf dem Markt werde ich ein paar Deniers dafür bekommen.«
Dass er daran dachte, das Amulett, das ihr so viel bedeutete, zu verkaufen – nach all dem, was sie dafür getan hatte, um es sicher für ihn aufzubewahren –, ließ Isabels Zorn überbrodeln. »Möget Ihr mitsamt Eurem verfluchten Medaillon in der Hölle verrotten«, erwiderte sie heftig. Nur selten war ihr in ihrem behüteten Leben ein Fluch über die Lippen gekommen. Mühsam schluckte sie den Klumpen aus Schmerz und Wut, der ihr die Kehle zuschnürte, hinunter. Sie wollte ihn nicht weiter beschimpfen. Beim Allmächtigen, sie war nicht willens, ihm die Genugtuung zu geben, sie mit seinen spitzen Bemerkungen aus der Fassung zu bringen. Mit eisernem Willen zwang sie sich, seinem kalten Blick standzuhalten. »Ihr seid ein Scheusal, Griffin of Droghallow. Ein niederträchtiger Schurke und ein gewöhnlicher Dieb. Wenn ich mir vorstelle, dass ich all die Jahre …«
… für Euch geschwärmt habe, vollendete sie in Gedanken den Satz, dankbar, dass sie die Worte gerade noch rechtzeitig zurückhalten konnte, bevor sie sich damit zur Zielscheibe von weiteren Spötteleien machte.
Wenn sie es vorher auch nicht wahrhaben wollte, nun konnte sie es nicht länger leugnen. Den Jungen, den sie ob seiner Ehre und Güte verehrt hatte, gab es nicht mehr. Offensichtlich war er schon seit vielen Jahren verschwunden, obgleich sie sich nicht vorstellen konnte, was ihm zugestoßen sein konnte. Indes wollte sie diesem Fremden, der seinen Namen trug, auch nicht so nahekommen, dass sie es herausfinden würde.
Nein, der Junge, den sie so viele Jahre geliebt hatte, war tot. Tief in seinem Inneren hatte Griffin ihn begraben.
Wortlos blickte sie ihn an. Sie war wütend auf ihn, weil er sie so sehr verwirrte, und auf sich, weil ihr Herz ihm immer noch zugetan war. Sie wusste nicht, was sie sagen, was sie von ihm denken sollte. Sie wünschte sich, ihn hassen zu können.
Doch beim Allmächtigen, das konnte sie nicht.
Unfähig, den Strudel verwirrender Gefühle in ihrem Inneren zu bezwingen, stand Isabel auf und strich die Blätter und Nadeln von ihren Röcken. Sie wandte sich zum Gehen, da packte Griffin sie am Arm. Spöttisch lächelnd riss sie sich los. »Ich nehme an, es ist wohl zu viel verlangt, wenn ich um einen Augenblick des Alleinseins bitte, Sir?«
Er antwortete nicht, hielt sie aber auch nicht zurück. An dem warnenden Funkeln in seinen Augen erkannte sie, dass es besser wäre, keinen neuen Fluchtversuch zu unternehmen.
»Einen Augenblick«, sagte er schließlich. »Nicht länger, Demoiselle .«
Griffin sah Isabel nach, wie sie in den Wald davonstürmte. Ihr schlanker Rücken war so starr wie eine Lanze. Er wusste, er hatte sie verärgert, wusste, ihr Wunsch nach Alleinsein gründete vermutlich eher auf verletztem Stolz, weil er ihre Prinzipien verhöhnt hatte, als auf dem Ruf der Natur. Es war ihm jedoch gleich, solange sie nicht so töricht war, seine Erlaubnis zu missbrauchen und vor ihm zu flüchten. Er bezweifelte indes, dass sie das tun würde. So verhasst er ihr auch sein mochte, sie brauchte ihn, um nach Montborne zu ihrem Verlobten zu gelangen.
Und er brauchte die Belohnung ihres Verlobten, damit es ihm gelang, den Menschen hinter sich zu lassen, in den er sich in den vergangenen Jahren auf Droghallow hatte verwandeln lassen.
Isabel hatte recht, er unterschied sich kaum noch von Dom. In den vergangenen Tagen war auch er zu dieser Feststellung gekommen. Allerdings hatte er nie viel darüber nachgedacht – bis zu diesem Augenblick. Bis Isabel berechtigterweise sein mangelndes Ehrgefühl beklagt hatte.
Lady Alys und Sir Robert kamen ihm in den Sinn. Wie enttäuscht die beiden von ihm
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