Die Ehre des Ritters (German Edition)
wären, wenn sie ihn so sähen. Sie wären zu Recht entsetzt. Er und sein ganzes Gerede von Ritterlichkeit und Güte und noblen Taten. Das waren nichts weiter als jugendliche Flausen gewesen, der Traum eines Menschen, der sich seitdem die Hände mit Blut und Schurkereien besudelt hatte. Wenn er es sich recht überlegte, würde vielleicht nicht einmal alles Silber dieser Welt ausreichen, um ihn zu ändern, denn tief in seinem Herzen war er zu einem habgierigen Ritter mit weniger Ehre im Leib als eine Hinterhofdirne geworden.
Eine Bewegung am Bach riss ihn jäh aus seinen griesgrämigen Gedanken. Seine hochnäsige kleine Gefangene war lange genug allein gewesen, um sich zu erleichtern. Vielleicht hatte sie sich doch noch zur Flucht entschlossen. Er ließ den Becher Wein fallen und lief zum Ufer. Nach Isabels blassgrüner Robe und ihrem kupfernen Schopf Ausschau haltend, ließ er den Blick über den in ähnlich prächtigen Tönen gefärbten Herbstwald gleiten.
Er entdeckte sie wenige Schritte von ihrem Lagerplatz entfernt. Sie saß auf einem großen flachen Felsen, der dort aus dem Wasser herausragte. Offensichtlich hatte sie sich das Gesicht gewaschen, nun war sie im Begriff, sich einen Zopf zu flechten. Die langen kupferroten Locken flossen ihr in feuchten Wellen über die Schulter. Sie kämmte die seidene Fülle, der das Wasser einen dunklen burgunderfarbenen Glanz verliehen hatte, mit den Fingern und hob dabei das Gesicht zur Sonne. Ihre Augen waren geschlossen.
Griff fragte sich, wie oft sie einen angenehmen Nachmittag im Freien hatte genießen, wie oft sie sich das Gesicht von der Sonne hatte wärmen lassen können, bevor sie ins Kloster geschickt worden war. Das Mädchen, an das er sich erinnerte, hatte es genossen, die Freiheit zu haben, ihren Launen nach Gutdünken nachzugehen. Die Frau, die er nun vor sich sah, strahlte eine unausgesprochene Traurigkeit aus, als ob sie am eigenen Leib erfahren hätte, dass Freiheit und Vorlieben ihren Preis hatten.
Vermutlich hatte er in den vergangenen Stunden, die sie unfreiwillig miteinander verbracht hatten, nicht unerheblich dazu beigetragen, sie diese Lektion zu lehren.
Sie legte den Kopf in den Nacken, um die volle Wärme der Sonne auf ihrem Gesicht zu spüren. Er betrachtete ihren zarten, schlanken Hals und fragte sich, welche Lektion er noch versucht sein könnte, sie in den kommenden Tagen – und Nächten – auf ihrer Reise nach Montborne zu lehren. Begehrlich ließ er den Blick nach unten schweifen, zur sanften Rundung ihrer Brüste. Das Mieder ihres meerschaumfarbenen Bliauts war an manchen Stellen feucht von ihren tropfenden Haaren. Offenbar war das Wasser kalt, denn die Knospen ihrer wohlgerundeten, festen Brüste zeichneten sich unter ihrer Robe ab wie zwei perfekte Perlen. Sie besaß die Anmut einer Katze. Ihre Arme waren schlank und geschmeidig, und ihre zierlichen, cremeweißen Finger flochten mit rhythmischen Bewegungen ihr Haar zu einem dicken Zopf. Ganz offensichtlich war sie sich des auf ihr haftenden Raubtierblicks nicht bewusst.
Griffs Herzschlag beschleunigte sich, während er sie verstohlen beobachtete, sich heimlich und unerlaubt mit seinen Blicken an sie heranschlich wie der niederträchtige Dieb, den sie in ihm sah. Lust wallte heftig und heiß in seinen Lenden auf, als sie den Zopf losließ und sich auf die Ellbogen gestützt auf dem Felsen zurücklehnte. Der Anblick weckte die wildesten animalischen Begierden in ihm.
Er begehrte sie, und in der Vergangenheit war ihm das als Grund meist genug gewesen. Dennoch war er nie so tief gesunken, einer Frau Gewalt anzutun. Das Spiel der Verführung reizte ihn ohnehin weitaus mehr. Doch als er Isabel in diesem Moment betrachtete, erwachte ein uralter Trieb in ihm, und eine heimtückische Stimme flüsterte ihm zu, dass er im Grunde nicht besser sei als Dom. Er glich auf vielerlei Weise einem Tier, warum nicht auch in dieser Hinsicht?
Obwohl er reglos verharrte und ob der quälenden Gedanken kaum atmen konnte, richtete sich Isabel plötzlich auf. Sie öffnete die Augen und begegnete seinem glühenden Blick. Griffin schwieg, jeder Muskel in seinem Körper war angespannt. Mit all seinen Sinnen nahm er diesen Moment wahr, bemerkte, wie sie die Lippen öffnete und nach Luft rang, wie sie die zitternden Finger in den Schoß legte. Sie schaute ihn an, mit unsicherem Blick, aber ohne Angst. Dann glitt sie vom Felsen und lehnte sich dagegen. Sie wirkte in die Enge getrieben und viel zu verletzlich und
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