Die Ehre des Ritters (German Edition)
einem anderen Ort, unter anderen Umständen, wäre Griffin wohl ein großer Mann geworden, fähig zu großen Dingen. Allein er hatte das Pech gehabt, vor fünfundzwanzig Jahren ausgerechnet auf der Türschwelle von Droghallow abgelegt zu werden. Wenn man überhaupt jemandem die Schuld an Griffins Schicksal geben konnte, dachte Dom, dann traf sie Alys, nicht ihn. Schließlich hatte sie ihn aufgenommen. Sie, die vorgab, nichts von seiner Herkunft zu wissen, wo er doch in Wahrheit blutsverwandt mit ihr war – der Sohn einer hochgeborenen Cousine, ein Säugling, den man heimlich fortgebracht hatte, um ihn von der kinderlosen Alys und ihrem ergebenen Gatten großziehen zu lassen.
Durch Zufall hatte Dom einige Wochen nach Alys’ Tod davon erfahren. Er hatte angeordnet, ihre Kammer auszuräumen, und die Aufgabe war fast erledigt gewesen, als eine Magd mit einer kleinen Truhe zu ihm kam, die sie hinter einem losen Stein versteckt in der Wand in Alys’ Schlafzimmer entdeckt hatte.
»Ich weiß nicht, warum ich die nicht schon früher gefunden habe«, hatte das Mädchen gesagt. Dom hatte den Verschluss aufgebrochen, um zu sehen, was die Truhe enthielt. »Lady Alys hatte sie wohl schon die ganze Zeit dort versteckt, direkt unter unserer Nase.«
Dom hatte erwartet, irgendeinen Schatz zu finden, eine Erklärung, warum Alys so viel Aufwand betrieben hatte, um das hölzerne Behältnis zu verbergen. Er hatte zwar kein Gold darinnen entdeckt, dafür aber eine Sammlung Briefe. Es waren Hunderte. Für jeden Monat, seitdem Griffin auf Droghallow lebte, ein Brief. Liebevolle Zeilen einer Mutter, die ihren Sohn vermisste und jeden Tag mit der Schuld lebte, ihn fortgegeben zu haben.
Dom war sich nicht sicher, ob sein Vater Griffins wahre Herkunft gekannt hatte. Er bezweifelte jedoch, dass es ihn gekümmert hätte. Griffin war der Sohn, der ihm Dom niemals sein konnte: stark und gesund, versiert im Umgang mit dem Schwert wie auch mit dem Verstand. Wäre Robert of Droghallow nicht so unerwartet gestorben, hätte er vermutlich Schritte unternommen, um seinen Besitz Griffin anstelle von Dom zu übertragen. Wenn er auch nur an diese Möglichkeit dachte, begann Doms Blut vor Hass zu kochen.
Nach Doms Ansicht hatte Griffin ihn der Zuneigung seines Vaters beraubt. Wäre er nicht gewesen, hätte der Earl vielleicht irgendwann in seinem Herzen einen Platz für den kränklichen Sohn seiner ersten Gemahlin gefunden. Vielleicht wäre er irgendwann doch noch stolz auf ihn gewesen und willens, ihm zumindest ein klein wenig Liebe zu schenken. Ob nun mit oder ohne Absicht, Griffin hatte ihm seinen Platz in seinem eigenen Haus gestohlen, und schon zu lange suchte Dom nach Mitteln, sich dafür zu rächen.
Es hatte ihm eine gewisse Genugtuung bereitet, jeden Brief zu lesen, den Griffins Mutter geschrieben hatte. Es hatte Stunden gedauert, sich durch die Zeilen zu kämpfen. Noch am selben Tag hatte Dom alle Briefe verbrannt und Griffin absichtlich ihren Fund vorenthalten, denn er war zuversichtlich, dass er sie irgendwann für seine eigenen Zwecke nutzen könnte.
Und das hatte er getan. An dem Tag, als er erfuhr, dass Prinz John eine bestimmte herrschaftliche Eheschließung verhindern wollte.
Nach dieser letzten Aufgabe – dem Raub von Montbornes Braut – wäre er mit ihm quitt gewesen. Nachdem Dom von der geplanten Verbindung und Prinz Johns Plänen erfahren hatte, diese zu vereiteln, hatte er seine Dienste nicht schnell genug anbieten können. Er hatte sogleich vorgeschlagen, Griffin mit der Aufgabe zu betrauen. Er war seine erste – und einzige Wahl.
»Ihr habt mein Wort«, verkündete Dom dem Prinzen nun und riss sich von seinen Gedanken los, um sich dem kalten, grauen, starrenden Blick von John Plantagenet zu stellen. »Griffin und die Frau werden gefasst werden. Niemand ist entschlossener als ich, dieses Unterfangen mit Erfolg zu krönen.«
Nicht einmal du, fügte er stumm hinzu, während er sich vor seinem blaublütigen Komplizen verbeugte und die Erlaubnis erhielt, sich zu entfernen.
20
Glücklicherweise war Isabel noch immer ohnmächtig, als Griffin endlich einen geeigneten Platz gefunden hatte, an dem er sich um ihre Wunde kümmern konnte. Eine tiefe Höhle in den Wäldern vor Derbyshire bot ihnen Zuflucht. Sie lag zwischen zwei massiven, von Flechten überwachsenen Felsen – nicht gerade ein idealer Unterschlupf, aber immerhin gut verborgen. Nachdem Griff sich davon überzeugt hatte, dass die Höhle verlassen war, kehrte er zu
Weitere Kostenlose Bücher